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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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muss den Kontrast zwischen der selbstbewussten Aura der Männer und der niedergedrückten des Viertels gespürt haben, aber was ihr in dem Moment auch durch den Kopf ging - ihre komplexe Reaktion ist mir als eine einzige, schockartige Erkenntnis überliefert.
    Feze. Sie trugen Feze. Die weiche, kastanienbraune, oben flache Kopfbedeckung der ehemaligen Peiniger meiner Großeltern. Die Hüte, die nach der Stadt in Marokko, der Herkunft des blutfarbenen Färbemittels, benannt waren und (auf den Köpfen von Soldaten) meine Großeltern aus der Türkei vertrieben, die Erde dunkelbraun getränkt hatten. Nun waren sie wieder da, in Detroit, auf den Köpfen zweier hübscher junger Neger. (Und Feze werden in meiner Geschichte noch einmal vorkommen, am Tag eines Begräbnisses, aber dieses zufällige Zusammentreffen, wie es nur das richtige Leben bieten kann, ist zu gut, um gleich jetzt verraten zu werden.)
    Zögernd überquerte Desdemona die Straße. Sie sagte den Männern, sie sei wegen der Anzeige gekommen. Der eine nickte. »Sie müssen nach hinten gehen«, sagte er. Höflich führte er sie einen Durchgang entlang in den gut gefegten Hinterhof. In dem Moment schwang auf ein verdecktes Zeichen hin die Hintertür auf, und Desdemona erlitt ihren zweiten Schock. Zwei Frauen im Tschador erschienen. Auf meine Großmutter wirkten sie wie fromme Musliminnen aus Bursa, aber die Farbe ihrer Gewänder: Sie waren nicht schwarz, sie waren weiß. Die Tschadors reichten vom Kinn bis zu den Knöcheln. Weiße Kopftücher bedeckten die Haare. Sie trugen keinen Schleier, aber als sie herankamen, sah Desdemona braune Halbschuhe an ihren Füßen.
    Feze, Tschadors und dann auch dies: eine Moschee. Drinnen war die ehemalige McPherson Hall nach maurischer Manier umgestaltet worden. Die Wachen führten Desdemona über geomeirisches Fliesenwerk. Sie geleiteten sie vorbei an dicken, gefransten Vorhängen, die das Licht aussperrten. Kein Geräusch war zu hören, nur das Rascheln der Frauengewänder und von weitem etwas, was wie eine sprechende oder betende Stimme klang. Schließlich führten sie sie in ein Büro, in dem eine Frau gerade ein Bild aufhängte.
    »Ich bin Schwester Wanda«, sagte die Frau, ohne sich umzudrehen. »Supreme Captain, Tempel Nr. 1.« Sie trug einen Tschador von ganz anderer Art, mit Paspeln und Epauletten. Das Bild, das sie aufhängte, zeigte eine fliegende Untertasse, die über der Skyline von New York schwebte. Sie schoss Strahlen ab.
    »Sie kommen wegen der Stelle?«
    »Ja. Ich bin Seidenarbeiterin. Viel Erfahrung. Hab Seide gemacht, die Raupen gezüchtet, gewoben die...«
    Schwester Wanda wirbelte herum. Sie überflog Desdemonas Gesicht. »Wir haben ein Problem. Was sind Sie?«
    »Ich Griechin.«
    »Griechin, hm. Das heißt wohl weiß, oder? In Griechenland geboren?«
    »Nein. In Türkei. Wir kommen aus Türkei. Mein Mann und ich auch.«
    »Türkei! Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Die Türkei ist ein muslimisches Land. Sie sind Muslimin?«
    »Nein, Griechin. Griechisch-orthodox.«
    »Aber in der Türkei geboren?«
    »Ne.«
    »Was?«
    »Ja.«
    »Und Ihre Familie kommt aus der Türkei?«
    »Ja.«
    »Dann sind Sie vielleicht ein bisschen gemischt? Nicht richtig weiß.«
    Desdemona zögerte.
    »Also, ich überleg mir gerade, wie wir das hinkriegen«, fuhr Schwester Wanda fort. »Minister Fard, der aus der heiligen Stadt Mekka zu uns gestoßen ist, der schärft uns immer ein, wie wichtig Eigenständigkeit ist. Man kann sich auf Weiße nicht mehr verlassen. MUSS alles selber machen, verstehn Sie?« Sie senkte die Stimme. »Das Problem ist, auf die Anzeige melden sich lauter Nullen. Die Leute kommen, sagen, sie wissen mit Seide Bescheid, aber die wissen einen Dreck. Hoffen bloß darauf, sie werden geheuert und gefeuert. Dass sie einen Tageslohn kriegen.« Sie kniff die Augen zusammen. »Hoffen Sie das auch?«
    »Nein. Ich will bloß heuern. Nicht feuern.«
    »Aber was sind Sie? Griechin, Türkin, oder was?«
    Erneut zögerte Desdemona. Sie dachte an ihre Kinder. Sie stellte sich vor, wie sie ohne jedes Essen zu ihnen nach Hause kam. Und dann schluckte sie schwer. »Alles gemischt. Türken, Griechen, ist dasselbe.«
    »Das wollte ich hören.« Schwester Wanda grinste breit.
    »Minister Fard, der ist auch gemischt. Ich zeig Ihnen mal, was wir brauchen.«
    Sie führte Desdemona durch einen langen, holzgetäfelten Gang, durch eine Telefonzentrale und in einen weiteren, noch dunkleren Flur. An dessen Ende blockierten schwere

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