Midkemia Saga 02 - Der verwaiste Thron
jedesmal wurde der Ansturm schwächer, und der Felsen stand reglos und erhob sich über die Wogen. Etwas zerschmetterte tosend. Äonen, verloren und vergangen, erschütterten Tomas’ Geist. Er taumelte, schwamm in einer fremden Landschaft, suchte nach einem Lichtstrahl, von dem er wußte, daß er ihm den Weg zur Freiheit weisen würde. Fluten rissen ihn mit sich. Er kämpfte, versuchte, seinen Kopf über der wütendschwarzen See zu halten, die ihn zu verschlingen drohte. Ein kreischender, böser Wind stürmte über ihm dahin, und seine Ohren dröhnten unter einem schrecklichen Gesang. Er holte aus, und wieder sah er Licht. Wieder verschlang die Flut ihn und trieb ihn fort von seinem Ziel, aber diesmal war sie schon schwächer.
Noch einmal kämpfte er sich dem Licht entgegen. Dann kam eine hohe Welle, ein letzter, schrecklicher Angriff kam auf ihn zu. Ich bin Ashen-Shugar! Der Wille wurde gebrochen. Etwas knackste wie der tote Zweig eines Baumes unter dem Gewicht frisch gefallenen Schnees, wie das Geräusch vom Eis des Winters unter der Berührung des Frühlings. Es war, als hätte der letzte Angriff zu viel gekostet.
Die schwarze See verlor ihre Wut und gab nach, und er stand auf festem Grund auf einem einsamen Felsen. Ich bin Tomas. In der Ferne wurde das Lichtfleckchen immer größer. Es raste auf ihn zu, um ihn zu verschlingen.
Ich bin Tomas.
»Tomas!«
Er blinzelte und stellte fest, daß er wieder auf der Lichtung stand. Vor ihm kauerte der Junge und wartete auf seinen Tod. Er drehte den Kopf und entdeckte Martin, der ihn über einen Pfeil hinweg musterte, den er schußbereit an der Wange hielt. Der Jagdmeister von Crydee sagte: »Leg dein Schwert hin, oder – bei den Göttern! – ich werde dich auf der Stelle töten.«
Tomas’ Blick wanderte über die Schneise. Er sah die Zwerge mit gezogenen Waffen, ebenso wie ein paar der älteren Elben. Calin, noch immer zitternd, hatte sein Schwert gezogen und kam langsam auf ihn zu.
Martin beobachtete Tomas scharf. Er fürchtete ihn nicht, aber seine schreckliche Kraft und Geschwindigkeit flößten ihm Respekt ein. Er wartete und sah dabei noch immer den Wahnsinn in Tomas’ Augen flackern. Dann, als würde plötzlich ein Schleier gelüftet, waren sie plötzlich klar.
Abrupt fiel das goldene Schwert aus seiner Hand, und die blassen, fast farblosen Augen füllten sich mit Tränen. Tomas fiel auf die Knie, und ein Stöhnen voll schrecklichen Schmerzes entrang sich seiner Kehle. Laut rief er aus: »Oh, Martin, was ist nur aus mir geworden?«
Martin senkte seinen Bogen und schaute zu, als Tomas die Arme um seinen Körper schlang.
Tathar und die anderen Bannweber betraten die Lichtung. Sie näherten sich Tomas und musterten die anderen Anwesenden. So schrecklich war Tomas’ Schluchzen, so erfüllt von Kummer und Leid, daß viele der Elben feststellen mußten, daß sie ebenfalls weinten.
Tathar sagte zu Martin: »Vor einer Weile fühlten wir, wie der Stoff unserer Bannsprüche zerrissen wurde. Wir sind sofort herbeigeeilt. Wir fürchteten, der Valheru wäre gekommen. Zu Recht, wie es scheint.«
»Und nun?« fragte Martin.
»Das ist die andere Seite der Waagschale. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß der Valheru nun endlich doch durch den Jungen ersetzt worden ist. Aber der Knabe muß jetzt das Gewicht von Jahrhunderten des Gemetzels auf sich lasten spüren, und das schlechte Gewissen, weil er Freude dabei empfand, anderen das Leben zu nehmen. Die Lasten der Sterblichen ruhen wieder auf ihm, und wir müssen nun abwarten, ob er sie ertragen kann. Dieser Schmerz kann sich als sein Ende erweisen.«
Martin ließ den uralten Elb stehen und ging zu Tomas hinüber. In dem schwachen Licht, das auf der Schneise lag, war er der erste, der die Veränderung bemerkte. Verschwunden war der fremdartige Schnitt seiner Züge, die glänzenden Augen, die hochmütige Stirn. Er war wieder Tomas, ein Mensch. Aber immer noch gab es Erinnerungen, die aus ihm mehr als nur einen einfachen Menschen machten: die Elbenohren, die bleichen Augen. Er war nicht mehr der Herr der Macht, der Alte, der Valheru. Wo vorher ein Drachenherrscher gestanden hatte, kauerte jetzt ein besorgter, verstörter, kränklicher Mann, erfüllt von Entsetzen über das, was er getan hatte.
Tomas hob den Kopf, als Martin ihn an der Schulter berührte. Mit rotgeränderten, vor Kummer fast wahnsinnigen Augen betrachtete er Martin einen kurzen Augenblick lang. Dann schloß er sie, als wolle er alles um sich her
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