Midkemia Saga 02 - Der verwaiste Thron
zu schweben. Er flutete dahin, taub und ohne zusammenhängenden Gedanken. Sein Geist war unfähig zu akzeptieren, was er gespürt hatte, und er war nahe daran, das Bewußtsein zu verlieren. Er fühlte, wie seine Finger schlaff wurden, und der Stab begann aus seiner Hand zu gleiten. Ganz instinktiv umklammerte er ihn wieder fester. Dann bemerkte er ein schwaches Zerren. Sein Geist widerstand der kühlen Finsternis, die ihn zu überwältigen suchte, und er bemühte sich, sich an etwas zu erinnern. Um ihn her wurde es kalt, und er konnte fühlen, wie seine Lungen vor Sehnsucht nach Luft brannten. Wieder versuchte er, sich etwas ins Gedächtnis zu rufen, aber es wollte nicht kommen. Dann spürte er wieder das Ziehen, und eine schwache, aber vertraute Stimme drang aus nächster Nähe an sein Ohr.
»Kulgan?« murmelte er schwach. Dann riß ihn die Dunkelheit mit sich fort.
Der Kommandeur der Tsuranis war am Leben. Er staunte über dieses Wunder als er die anderen sah, die tot vor der Spaltmaschine lagen. Die Explosion vor einer Minute hatte Hunderte getötet, und andere lagen benommen in einiger Entfernung.
Er erhob sich und grübelte, was geschehen war. Die schreckliche Zerstörung des Spalts war auch keine Hilfe für die königlichen Streitkräfte gewesen. Verzweifelt versuchten die Reiter, scheuende Pferde zu beruhigen. Man sah andere Tiere, die davon stürzten, nachdem sie ihre Reiter abgeworfen hatten. Überall um ihn her herrschte Verwirrung. Aber diejenigen, die weiter entfernt waren, waren weniger benommen, und schon wurde der Kampf wiederaufgenommen.
Jetzt, da sie von Kelewan abgeschnitten waren, gab es wenig Hoffnung auf Hilfe oder auf eine sichere Rückkehr. Doch zahlenmäßig waren sie dem Feind noch immer kaum unterlegen, und es bestand die Möglichkeit, daß der Sieg ihrer sein würde. Über den Spalt konnte er sich später immer noch Gedanken machen.
Ganz plötzlich hörte der Kampflärm auf, als sich die königlichen Streitkräfte zurückzogen. Der Kommandeur sah sich um, und nachdem er keinen Offizier höheren Ranges entdeckte, fing er an, Befehle zu erteilen, um einen neuen Schildwall für den nächsten Angriff vorzubereiten.
Die königlichen Streitkräfte gruppierten sich ebenfalls erneut. Sie griffen nicht an, sondern bezogen gegenüber den Tsuranis Stellung. Der Kommandeur wartete, während seine Soldaten sich vorbereiteten. Auf allen Seiten hielten sich königliche Reiter bereit, aber noch immer näherten sie sich nicht.
Langsam wuchs die Spannung. Der Kommandeur erteilte den Befehl, eine Plattform zu errichten. Vier Tsuranis packten einen Schild, und er stieg hinauf. Dann hoben sie ihn empor. Seine Augen weiteten sich. »Sie haben Verstärkung erhalten.« Weit im Süden konnte er die sich nähernden Truppen des Königreichs sehen, die über den Südpaß herbeizogen. Sie waren weiter vom Tal entfernt gewesen und erreichten das Schlachtfeld erst jetzt.
Ein Ruf aus der jenseitigen Richtung veranlaßte ihn, gen Norden zu blicken: Königliche Infanterie näherte sich von den Bäumen her. Wieder wandte er seine Aufmerksamkeit nach Süden und strengte seine Augen an. Im fernen Dunst konnte er die Anzeichen einer großen Streitmacht erkennen, die hinter der Kavallerie einherzog. Der Offizier befahl, den Schild zu senken, und sein Unteroffizier erkundigte sich: »Was gibt es?«
»Ihre gesamte Armee nähert sich dem Feld.« Er schluckte hart, und die für gewöhnlich herrschende Gleichgültigkeit der Tsuranis war dahin. »Mutter der Götter! Es müssen mindestens dreißigtausend Mann sein.«
»Dann werden wir ihnen einen Kampf liefern, der eine Ballade wert ist, ehe wir sterben«, erklärte sein Unteroffizier.
Der Kommandeur sah sich um. Auf allen Seiten standen blutende, verwundete, benommene Soldaten. Nur ein Drittel der königlichen Armeen, die ihnen gegenüberstanden, hatte bisher gekämpft. Volle zwanzigtausend ausgeruhte Soldaten näherten sich viertausend Tsuranis, von denen die Hälfte nicht mehr in der Lage war, voll zu kämpfen. Der Kommandeur schüttelte den Kopf. »Es wird keinen Kampf mehr geben. Wir sind von daheim abgeschnitten, vielleicht für alle Zeiten. Es hat keinen Sinn.«
Er schritt an seinem überraschten Unteroffizier vorüber zum Schildwall. Dann hob er beide Hände über seinen Kopf, als Zeichen seiner Bereitwilligkeit zu verhandeln, und schritt langsam auf Lyam zu. Er fürchtete den Augenblick, in dem er als erster Tsurani-Offizier der Geschichte seine Truppen
Weitere Kostenlose Bücher