Midkemia Saga 02 - Der verwaiste Thron
Ich vermute, daß wir jeden Tag miteinander gestritten hätten, Pug. Oh, wie wütend er mich doch machen konnte! Aber er konnte mich genauso auch zum Lachen bringen. Er hat mir so viel über das Leben beigebracht. Ich werde ihn immer in guter Erinnerung behalten.«
»Ich bin froh, daß du deinen Frieden mit deinen Verlusten gemacht hast, Carline. So viele Jahre als Sklave, dann als Magier in einem fremden Land haben mich sehr verändert. Es scheint, als hättest auch du große Veränderungen durchgemacht.«
Sie neigte den Kopf, um ihn anzuschauen. »Ich glaube nicht, daß du dich so sehr verändert hast, Pug. In dir steckt immer noch etwas von dem Knaben, der sich durch meine Aufmerksamkeiten so leicht aus der Fassung bringen ließ.«
Pug lachte. »Wahrscheinlich hast du recht. Und in gewisser Weise bist auch du unverändert, oder zumindest weißt du immer noch, wie man Männer aus der Fassung bringt – wenn Lauries Reaktion ein Maßstab ist.«
Sie lächelte ihn strahlend an, und ihr Gesicht glühte. Pug verspürte einen leisen Schmerz, ein Sehnen, ein Echo des Gefühls, das er ihr einst entgegengebracht hatte. Aber jetzt fühlte er sich deshalb nicht mehr unwohl, denn er wußte, er würde Carline immer lieben, wenngleich nicht auf die Art, wie er es sich als Knabe vorgestellt hatte. Das war nicht die rasende Leidenschaft, auch nicht das tiefe Band, das ihn mit Katala verband. Er wußte, was er für Carline fühlte, war Zuneigung und Freundschaft.
Sie griff seine letzte Bemerkung auf. »Dieser hübsche blonde Mann, der vor ein paar Minuten bei dir war? Wer ist das?«
Pug lächelte verständnisvoll. »So, wie es aussieht, dein treuester Untertan. Er heißt Laurie. Er ist ein Troubadour aus Tyr-Sog und ein Schurke mit grenzenlosem Charme und Witz. Er hat ein liebendes Herz und einen mutigen Geist, und er ist ein wahrer Freund. Ich werde dir irgendwann einmal erzählen, wie er mir das Leben gerettet und dabei sein eigenes aufs Spiel gesetzt hat.«
Wieder neigte Carline den Kopf zur Seite. »Klingt, als wäre er ein äußerst interessanter Kerl.«
Pug erkannte, daß sie zwar älter und selbstbewußter geworden war und viel Kummer hinter sich gebracht hatte, aber im Grunde ihres Wesens war sie unverändert geblieben.
»Ich habe ihm einmal, im Scherz, versprochen, ihn dir vorzustellen. Ich bin sicher, er wäre jetzt entzückt, die Bekanntschaft Ihrer Hoheit machen zu dürfen.«
»Dann müssen wir dafür sorgen, daß er das tut.« Sie erhob sich. »Ich fürchte, ich muß mich jetzt für die Krönung vorbereiten. Jeden Augenblick können jetzt die Glocken erklingen und die Priester eintreffen. Wir unterhalten uns noch, Pug.«
Auch Pug sprang auf. »Ich freue mich darauf, Carline.«
Er bot ihr den Arm. Eine Stimme erklang hinter ihnen. »Junker Pug, darf ich wohl mit Euch sprechen?«
Sie drehten sich um und sahen Martin Langbogen, der in einiger Entfernung stand. Er verneigte sich in die Richtung der Prinzessin. Carline sagte: »Meister Langbogen! Da seid Ihr. Ich habe Euch seit gestern nicht mehr gesehen.«
Martin lächelte leicht. »Ich hatte das Bedürfnis, allein zu sein. Wenn mich eine solche Stimmung m Crydee überkommt, dann kehre ich einfach in den Wald zurück. Hier« – er wies auf den großen, terrassenförmigen Garten – »war dies das Beste, was ich finden konnte.«
Fragend blickte sie ihn an, aber sie kümmerte sich nicht weiter um seine Bemerkung. »Nun, ich denke, es wird Euch gelingen, an der Krönung teilzunehmen. Wenn ihr mich jetzt bitte entschuldigt, ich muß mich beeilen.« Sie nahm ihren höflichen Abschied entgegen und ging.
Martin sah Pug an. »Es tut gut, dich wiederzusehen, Pug.«
»Dich auch, Martin. Von allen meinen alten Freunden hier bist du der letzte, der mich begrüßt.
Abgesehen von denen, die noch in Crydee sind und die ich erst dort wiedersehen werde, hast du meine Heimkehr jetzt vervollständigt.« Pug bemerkte, daß Martin Sorgen hatte. »Stimmt etwas nicht?«
Martin schaute auf den Garten hinaus, auf die Stadt und das Meer dahinter. »Lyam hat mir alles erzählt, Pug. Er hat mir auch gesagt, daß du ebenfalls Bescheid weißt.«
Pug verstand ihn sofort. »Ich war dabei, als dein Vater starb, Martin«, sagte er, und seine Stimme blieb ganz ruhig.
Schweigend ging Martin los, und als er die niedrige Steinmauer erreichte, die den Garten umgab, umklammerte er sie fest. »Mein Vater«, sagte er verbittert. »Wie viele Jahre habe ich darauf gewartet, daß er sagen
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