Midkemia Saga 02 - Der verwaiste Thron
würde ›Martin, ich bin dein Vater‹.« Er schluckte hart. »Ich habe mir nie etwas aus dem Erbe und solchen Dingen gemacht. Ich war es zufrieden, Jagdmeister von Crydee zu bleiben. Wenn er es mir nur selbst gesagt hätte.«
Pug dachte über seine nächsten Worte nach. »Martin, viele Männer tun Dinge, die sie später bereuen. Nur wenigen wird die Gelegenheit gewährt, sie wiedergutzumachen. Hätte ein Tsurani-Pfeil ihn schnell getötet oder wäre irgend etwas anderes geschehen, hätte er vielleicht nicht einmal die Zeit gehabt, das wenige zu tun, was er getan hat.«
»Ich weiß, aber auch das tröstet mich nicht.«
»Hat Lyam dir seine letzten Worte überbracht? Er sagte: ›Martin ist dein Bruder. Ich habe ihm Unrecht getan, Lyam. Er ist ein guter Mann, und ich habe ihn von Herzen gern.‹«
Martins Knöchel wurden weiß, so fest umklammerte er die Steinmauer. Leise antwortete er:
»Nein, das hat er nicht.«
»Lord Borric war kein einfacher Mann, Martin, und ich war noch ein Junge, als ich ihn kennenlernte. Aber was immer man auch von ihm sagen kann, dieser Mann war nicht schlecht. Ich behaupte nicht, zu verstehen, warum er so gehandelt hat, wie er es tat, aber daß er dich geliebt hat, das steht fest.«
»Es war alles eine solche Dummheit. Ich wußte, daß er mein Vater war, und er hat nie erfahren, daß meine Mutter es mir erzählt hatte. Wie anders hätte unser Leben verlaufen können, wäre ich zu ihm gegangen und hätte es ihm gesagt.«
»Nur die Götter können das wissen.« Pug berührte Martins Arm. »Aber was jetzt zählt, ist: Was wirst du tun? Daß Lyam es dir erzählt hat, bedeutet, daß er dein Geburtsrecht öffentlich bekanntgeben will. Wenn er es schon anderen mitgeteilt hat, dann wird der Hof in Aufruhr sein. Du bist der Älteste und hast den ersten Anspruch. Weißt du, was du tun wirst?«
Martin musterte Pug und antwortete: »Du sprichst recht ruhig über all das. Beunruhigt dich mein Anspruch auf den Thron denn überhaupt nicht?«
Pug schüttelte den Kopf. »Du kannst es nicht wissen, aber in Tsuranuanni gehörte ich zu den mächtigsten Männern. In mancher Hinsicht galt mein Wort mehr als ein Befehl des Königs. Ich glaube, ich weiß, was Macht bedeuten kann, und welche Art von Männer sie sucht. Ich bezweifle, daß du über viel persönlichen Ehrgeiz verfügst, außer du hast dich sehr verändert, seit ich in Crydee gelebt habe. Wenn du die Krone an dich nimmst, dann aus Gründen, die du für gut hältst. Vielleicht ist es die einzige Möglichkeit, einen Bürgerkrieg zu verhindern. Denn wenn du den Königsmantel wählst, dann wird Lyam der erste sein, der dir Lehenstreue schwört. Aus welchem Grund auch immer, du würdest dein Bestes tun, um klug zu handeln. Und du wirst dein Bestes geben, um ein guter Herrscher zu sein.«
Martin schien beeindruckt. »Du hast dich sehr verändert, Pug, mehr, als ich erwartet hatte. Ich danke dir für deine freundliche Beurteilung, aber ich glaube, du bist der einzige Mann im ganzen Königreich, der dieser Meinung ist.«
»Wie auch immer die Wahrheit aussehen mag: Du bist der Sohn deines Vaters und würdest keine Unehre über sein Haus bringen.«
Wieder sprach Bitterkeit aus Martins Worten. »Es gibt Leute, die meine Geburt als solche schon als Unehre ansehen.« Er starrte auf die Stadt unterhalb. Dann wandte er sich Pug zu. »Wenn die Wahl doch nur einfach wäre. Aber Lyam hat schon gemerkt, daß das nicht der Fall ist. Wenn ich die Krone nehme, werden viele stutzen und sich zurückziehen. Wenn ich zu Lyams Gunsten zurücktrete, schützen mich vielleicht einige vor, um Lyam ihre Unterstützung zu verweigern.
Götter, Pug. Ginge es um Arutha und mich, würde ich auch nicht eine Sekunde lang zögern, zu seinen Gunsten zurückzutreten. Aber Lyam? Ich habe ihn sieben Jahre lang nicht gesehen, und diese Zeit hat ihn verändert. Er scheint ein von Zweifeln geplagter Mann zu sein. Er ist sicher ein fähiger Kommandeur im Feld, aber ein König? Ich überlege, ob ich mich nicht als der fähigere König erweisen könnte.«
Pug sprach leise und sanft. »Wie ich schon sagte: Wenn du den Thron beanspruchst, dann aus guten Überlegungen heraus, aus Pflichtgefühl.«
Martins rechte Hand ballte sich zur Faust, die er vor sein Gesicht hielt. »Wo endet Pflichtgefühl und fängt persönlicher Ehrgeiz an? Wo endet Gerechtigkeit und beginnt Rache? Ein Teil von mir, ein zorniger Teil, sagt: ›Hole aus diesem Augenblick heraus, was du kannst, Martin.‹ Warum
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