Midkemia Saga 02 - Der verwaiste Thron
Lücken mehr in seiner Erinnerung oder seinen Gefühlen. Er schwelgte in seiner Macht: nicht mehr Pug, der Burgknabe, sondern ein mächtiger Magier, so mächtig, daß neben ihm selbst die Vorstellungen seines früheren Meisters Kulgan verblassen mußten. Und nie wieder wird ihm eine dieser Welten, weder Midkemia noch Kelewan, so erscheinen wie früher.
Kraft seines Willens ließ er sich aufs Dach hinab und schwebte sanft durch den tobenden Wind.
Die Tür öffnete sich in Erwartung seines Kommens. Er trat ein, und sie schloß sich hinter ihm.
Shimone wartete auf ihn. Ein Lächeln lag auf seinem Gesicht. Als sie die langen Gänge der von der Versammlung erbauten Stadt entlangschritten, explodierte der Himmel draußen unter lauter Donnerschlägen. Es war, als sollte sein Kommen angekündigt werden.
Hochopepa saß auf seiner Matte und erwartete die Ankunft seines Gastes. Der schwere, kahlköpfige Magier konnte es kaum erwarten, den Eifer und Mut des jüngsten Mitglieds seiner Versammlung abzuschätzen. Erst am vergangenen Tag war dieser Träger der schwarzen Robe auf seinem Sitz erschienen.
Eine Glocke erklang und kündete die Ankunft seines Gastes an. Hochopepa erhob sich und durchquerte sein reich ausgestattetes Gemach. Dann schob er die Schiebetür beiseite.
»Willkommen, Milamber. Ich freue mich, daß Ihr meine Einladung angenommen habt.«
»Es ist mir eine Ehre«, war alles, was Milamber sagte. Dann trat er ein und sah sich im Zimmer um. Von allen Unterkünften, die er im Gebäude der Versammlung bisher gesehen hatte, war dies bei weitem die üppigste. Die Wandteppiche waren aus kostbarem Material, durchzogen von feinsten, kostbarsten Fäden, und verschiedene wertvolle Metallgegenstände schmückten mehrere Regale.
Auch seinen Gastgeber musterte Milamber. Der schwerfällige Magier führte ihn zu einem Kissen an einem niedrigen Tisch und schenkte dann Chocha in ihre Becher ein. Seine plumpen Hände bewegten sich geschickt, leicht, aber präzise. Seine dunklen, fast schwarzen Augen leuchteten unter dichten Brauen hervor, die einen Akzent in einem ansonsten verräterisch nichtssagenden Gesicht setzten. Er war der dickste Magier, den Milamber bisher gesehen hatte. Die meisten Männer, die die schwarze Robe trugen, waren dünn und sahen recht asketisch aus. Milamber spürte, daß dies größtenteils bewußt geschehen war. Es war, als ob jemand, der sich dem Vergnügen des Fleisches hingab, sich keine allzu tiefen, ernsten Gedanken machen könnte.
Nachdem er den ersten Schluck Chocha getrunken hatte, sagte Hochopepa: »Ihr seid so etwas wie ein Problem für mich, Milamber.«
Als dieser nichts darauf erwiderte, fuhr Hochopepa fort: »Ihr sagt nichts.« Milamber neigte zustimmend den Kopf. »Vielleicht ist Eure Vergangenheit schuld daran, daß Ihr vorsichtiger seid, als es hier für gewöhnlich der Fall ist.«
Milamber sagte: »Wenn ein Sklave Magier wird, dann ist das schon etwas, über das man nachdenken muß.«
Hochopepa winkte ab. »Es ist selten, daß ein Sklave die schwarze Robe anlegt, es kommt aber vor. Gelegentlich wird die Kraft erst erkannt, wenn jemand erwachsen ist. Aber das steht jetzt hier nicht zur Debatte. Eure besondere Situation, die es mit sich bringt, daß Ihr für mich so etwas wie ein Problem darstellt, ist die, daß Ihr ein Barbar seid – verzeiht, wart.«
Wieder lächelte Milamber. Als er den Turm der Probe verlassen hatte, waren alle Erinnerungen an sein früheres Leben wieder in ihm wachgeworden. Aber vieles, was seine Ausbildung anbetraf, war noch unklar. Er verstand die Prozesse, die eingesetzt worden waren, um ihm die Kontrolle über seine Magie zu verleihen. Sie hatten ihn unter Hunderttausenden von Sklaven herausgestellt, er war ein Erhabener. Zwischen den zweihundert Millionen Einwohnern des Kaiserreiches gehörte er zu den zweitausend Magiern der schwarzen Robe. Die Wachsamkeit, die er als Sklave erworben hatte, gesellte sich nun zu der ihm angeborenen Intelligenz – und er schwieg. Hochopepa wollte auf irgend etwas hinaus, und Milamber würde abwarten, was das war, ganz gleich, wie ausschweifend der untersetzte Magier auch sein würde.
Als Milamber wieder nichts sagte, fuhr Hochopepa fort: »Eure Lage ist aus mehreren Gründen merkwürdig: Ihr seid der erste, der die schwarze Robe trägt, obwohl er nicht von dieser Welt ist; und Ihr wart Lehrling bei einem Geringeren Magier.«
Milamber zog die Braue hoch. »Kulgan? Ihr wißt von meiner Ausbildung?«
Hochopepa
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