Midkemia Saga 02 - Der verwaiste Thron
vor. Er wischte sich über die Stirn und starrte unter seinen feuchten Locken hervor. »Seit zweihundertundfünfzig Jahren, seit der erste Borric seinen Halbbruder, Johann, den Thronbewerber, ermordet hat, hatten wir hier keinen mehr. Aber verglichen mit dem, was jetzt auf uns zukommen würde, wäre das nur ein kleines Scharmützel gewesen.«
Besorgt schaute Amos Arutha an. »Geschichte ist zwar nicht meine starke Seite, aber ich glaube, Ihr tut gut daran, wenn Ihr Euren Vater im Ungewissen laßt, bis die Frühlingsoffensive der Tsuranis beendet ist.«
Arutha atmete lang und vernehmlich aus. »Etwas anderes gibt es nicht. Wir wissen, daß wir für Crydee keine Hilfe zu erwarten haben. Ich kann am besten entscheiden, was ich tun soll, wenn ich zurückkomme. Vielleicht kann ich im Rat mit Fannon und den anderen eine Verteidigung ausarbeiten, für den Augenblick, wenn die Tsuranis kommen.« Seine Stimme klang resigniert.
»Vater wird noch rechtzeitig von Guys Verschwörung erfahren. Diese Art von Neuigkeiten kann man nur schwer geheimhalten. Wir können nur hoffen, daß er erst nach der Tsurani-Offensive davon hört. Vielleicht hat sich die Lage bis dahin geändert.« Aus seinem Ton war klar zu erkennen, daß er das nicht für wahrscheinlich hielt.
Martin sagte: »Vielleicht entscheiden sich die Tsuranis auch, gegen Elvandar in den Krieg zu ziehen, oder gegen deinen Vater. Wer kann das wissen?«
Arutha lehnte sich zurück. Erst jetzt wurde er sich bewußt, daß Anitas Hand sanft auf seinem Arm ruhte. »Welch angenehme Wahl haben wir doch«, sagte er leise. »Entweder sehen wir uns dem möglichen Verlust von Crydee und der Fernen Küste an die Tsuranis gegenüber, oder aber wir steuern mit dem Königreich in einen Bürgerkrieg. Die Götter müssen das Königreich wirklich hassen.«
Amos erhob sich. »Trevor hat mir erzählt, daß er ein Schiff gefunden hat. Wir können in wenigen Tagen abreisen. Mit etwas Glück wird sich das Wetter schon geklärt haben, wenn wir die Straße der Finsternis erreichen.«
In düstere Gedanken über seine eigene, persönliche Niederlage verloren, hörte Arutha ihn kaum.
Er war überzeugt davon gewesen, daß er Erlands Unterstützung gewinnen würde und daß Crydee von den Tsuranis befreit werden würde. Jetzt jedoch stand er einer noch schlimmeren Situation gegenüber, als wenn er daheim geblieben wäre. Die anderen ließen ihn allein, außer Anita, die schweigende Minuten an seiner Seite verbrachte.
Dunkle Gestalten bewegten sich aufs Wasser zu. Trevor Hull führte ein Dutzend Männer, Arutha und seine Kameraden die stille Straße entlang. Sie drängten sich dicht an den Mauern der Gebäude entlang, und alle paar Meter schaute sich Arutha um, um zu sehen, wie sich Anita hielt. Sie erwiderte seine Sorge mit tapferem Lächeln, das er in der abendlichen Dämmerung nur schwach wahrnehmen konnte.
Arutha wußte, daß sich mehr als einhundert Männer auf den angrenzenden Straßen bewegten.
Sie räumten das Gebiet von Radburns Männern und der Stadtwache. Die Spötter waren in voller Zahl ausgeschwirrt, damit Arutha und die anderen die Stadt sicher verlassen konnten. Am Vorabend hatte Hull sie benachrichtigt, daß der Aufrechte Mann als Gegenleistung für eine immense Summe dafür gesorgt hatte, daß eines der Blockadeschiffe von seinem Platz ›getrieben wurde‹. Seit er erfahren hatte, wie die Lage wirklich war, seit er auch von Guys Plan wußte, Prinz von Krondor zu werden, hatte der Aufrechte Mann seine nicht unerheblichen Mittel dazu bereitgestellt, die Flucht der Prinzessin und Aruthas zu unterstützen. Arutha fragte sich, ob jemals irgend jemand, der nicht zur Gilde der Diebe gehörte, die wahre Identität dieses geheimnisvollen Anführers in Erfahrung bringen würde. Aus den zufälligen Bemerkungen, die Arutha aufgeschnappt hatte, schloß er, daß selbst innerhalb der Spötter nur wenige wußten, wer er war.
Jetzt, wo sich Guy auf seinem Weg zurück in die Stadt befand, hatten Jocko Radburns Männer ihre Suche noch intensiviert. Man hatte Ausgehverbote erlassen, und mitten in der Nacht war man überraschend in Häuser eingedrungen und hatte sie durchsucht. Jeder bekannte Informant der Stadt und auch viele Bettler und Gerüchteverkäufer waren in die Verließe geschleppt und verhört worden.
Aber was Radburns Männer auch immer taten, sie brachten nicht in Erfahrung, wo die Prinzessin versteckt gehalten wurde. So sehr die Bürger der Stadt Radburn auch fürchteten, den
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