Midkemia Saga 05 - Gefährten des Blutes
seinen tödlichsten Feind finden würde, wenn er, und nicht Borric, eines Tages den Thron des Königreichs der Inseln bestiegen hatte. Und seit der Zeit, als er noch ein kleiner Junge gewesen und in die Arme seiner Mutter geflüchtet war, hatte Erland vor nichts mehr so große Angst gehabt.
Die Zeremonie rauschte an ihm vorbei. Erland konnte es kaum fassen, daß er formell dem kaiserlichen Hofe vorgestellt worden war, und er hatte auch die Worte seiner Rede vergessen, die er sich so mühevoll eingeprägt hatte. Da niemand eine Bemerkung machte oder lachte, glaubte er, er habe sie ordentlich aufgesagt, aber er konnte sich anschließend auch nicht mehr daran erinnern, was die Abordnungen nach ihm gesagt hatten. Jetzt saß er auf der untersten Ebene des Amphitheaters, auf einer Steinbank, die für die Abgesandten, welche der Kaiserin Gesundheit und Wohlergehen zu ihrem fünfundsiebzigsten Geburtstag wünschten, bereitgestellt worden war. Er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, und trotz dieser unerwarteten Angst, die ihn überfallen hatte, fragte er:
»Kafi, warum werden die Feierlichkeiten so spät nach Banapis abgehalten?«
Kafi sagte: »Anders als bei Eurem Volk gilt bei uns in Kesh nicht das Mittsommerfest als Geburtstag. Hier feiert jeder, der ihn weiß, den Tag seiner Geburt eben am Tag seiner Geburt. So, und da nun Sie, Die Kesh Ist, am fünfzehnten Tag des Monats Dzanin das Licht der Welt erblickte, wird ihre Geburt an diesem Tag gefeiert. Und das wird der letzte Tag der Feierlichkeiten sein.«
Erland meinte dazu: »Wie seltsam. Ihr feiert den Tag Eurer Geburt an dem Tag, an dem sie tatsächlich stattfand. Dann muß es hier ja jeden Tag Dutzende kleiner Feste geben. Ich würde mich betrogen fühlen, wenn ich nicht am großen Banapisfest teilnehmen dürfte.«
»Das sind eben unterschiedliche Sitten«, merkte Locklear an.
Ein Diener, der die Kleidung der Reinblütigen trug, erschien vor dem Prinzen und verbeugte sich tief. Er hielt ihm eine Rolle hin, die von einem goldenen Band zusammengehalten wurde. Kafi, der als Führer und Protokollbeamter auftrat, nahm die Rolle an. Er betrachtete das Wachssiegel und sagte: »Ich vermute, hierbei handelt es sich um etwas Persönliches.«
Erland fragte: »Warum?«
»Die Rolle trägt das Siegel der Prinzessin Sharana.«
Er überreichte die Rolle Erland, der am Band zog und das Siegel brach. Er mußte die makellose Schrift langsam lesen, da er die geschriebene Hochsprache von Kesh noch nie besonders gut beherrscht hatte. Während er las, begann Gamina zu lachen.
James drehte sich abrupt um, weil er für einen Augenblick fürchtete, seine Frau würde versehentlich ihre Fähigkeit des Gedankenlesens preisgeben, doch Gamina sagte nur: »Was ist denn, Erland, ich könnte schwören, du bist rot geworden.«
Erland lächelte und schob die Rolle in seinen Gürtel. »Ach … das kommt nur von der Sonne«, entgegnete er, doch er konnte eine Spur von Verlegenheit in seinem Lächeln nicht verbergen.
»Was ist es denn?« fragte Locklear schelmisch.
»Eine Einladung«, erwiderte Erland.
»Wozu?« fragte Locklear weiter. »Wir sind doch heute zum Essen beim abendlichen Empfang der Kaiserin eingeladen.«
Erland konnte nicht aufhören zu grinsen. »Sie ist … für nach dem Essen.«
James und Locklear wechselten einen wissenden Blick. Dann sagte Locklear: »Kafi, treffen die Reinblütigen auf diese Weise ihre … Verabredungen? Wenn … sie sich gegenseitig besuchen wollen, meine ich.«
Kafi zuckte mit den Schultern. »Man hat schon von solchen Dingen gehört, obwohl die Prinzessin, da sie so hochgeboren ist, die Grenzen der Schicklichkeit nach Belieben verschieben kann, wenn Ihr mir folgen könnt.«
»Was ist mit Prinzessin Sojiana?« fragte Locklear.
James grinste. »Ich habe mich schon gefragt, wann du darauf zu sprechen kommst.«
Gamina kniff die Augen ein wenig zusammen. »›Darauf‹?«
»Nun, ja, meine Liebe. Locky ist am Hof dafür bekannt… äh, er versucht jedenfalls, jede hübsche Frau, die er zu Gesicht bekommt, kennenzulernen.«
Kafi sagte: »Wenn Ihr der Prinzessin eine Botschaft mit der Bitte um ein Treffen schickt, solltet Ihr damit rechnen, nicht der einzige zu sein, der dies tut. Außerdem wird erzählt, sie würde im Moment ihre Zeit mit Lord Ravi verbringen, weshalb Euer Brief wahrscheinlich höflichst … unbeachtet bliebe.«
Locklear lehnte sich zurück und versuchte, auf dem Stein eine bequemere Position zu finden, denn die Bank war
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