Midkemia Saga 05 - Gefährten des Blutes
frage mich … Sie lehnte sich etwas zurück und betrachtete sein Gesicht im schwindenden Licht. »Ich fürchte, du würdest dich wieder in dich zurückziehen, Jimmy, und nach einer Weile wärst du vielleicht überzeugt, wir hätten uns nur etwas vorgemacht; und dann würdest du deine Mauern gegen die Liebe und den Schmerz wieder aufrichten, noch stärker, noch höher und noch fester als jemals zuvor. Du würdest einen Grund finden, weshalb du auf einem anderen Weg nach Krondor zurückreisen könntest, und du würdest immer wieder Gründe finden, aus denen du deine Rückkehr nach Stardock aufschieben könntest. Eine Zeitlang würdest du noch glauben, du wolltest wirklich so schnell wie möglich zurückkehren, aber erst aus dem einen Grunde und dann aus dem nächsten würdest du dich immer länger fernhalten. Und genauso würdest du Gründe finden, warum ich nicht kommen sollte. Nach einer Weile hättest du alles aus deinem Herzen verbannt und vergessen.«
James wirkte wie betäubt. Neuentdeckte Gefühle wallten in ihm auf, und von der entspannten Zufriedenheit, die er gewöhnlich nach außen hin zeigte, war nichts mehr übrig. Er sah so aus wie der Junge, der er in Wahrheit war, verwirrt und aufgeschreckt von der Aufmerksamkeit einer liebenden Frau. »Traust du mir so wenig zu?«
Sie berührte seine Wange, lächelte, und die Wärme ihres Blicks verscheuchte erneut die Angst, so wie sie es schon ein dutzendmal an diesem Tag getan hatte. Gamina hatte in James’ Herz und Seele gelesen, als sie ihn am Ufer des Sees wiederbelebt hatte, und sie hatte sich mit ihm vereinigt, sowohl was den Körper als auch was das Herz anging. Trotzdem wurde James nur widerwillig Vertrauen geschenkt, selbst von der Frau, die ihm so nahegekommen war wie keine andere zuvor. »Nein, Liebster, ich schätze dich nicht falsch ein.
Aber ich schätze deine Ängste auch nicht falsch ein. Meine Fähigkeiten bestehen nicht nur aus Magie, wie sie die anderen hier auf der Insel kennen. Ich kann auch die Seele und das Herz heilen.
Ich kann Menschen helfen, deren Geist schwach und deren Verstand krank ist. Ich kann deinen Träumen zuhören. Und ich habe gesehen, was Ängste anrichten können. Du fürchtest dich davor, wieder – wie von deiner Mutter – verlassen zu werden.«
James wußte, sie hatte recht. Noch während sie sprach, kehrten die Erinnerungen an jene schreckliche Nacht zurück, in der er sich als Kind von sechs oder sieben Jahren aus dem Haus seiner Mutter gestohlen hatte, durch ihr klebriges Blut auf dem Boden geschlichen war mit dem schrecklichen Wissen, allem preisgegeben zu sein.
Seine Augen füllten sich mit Tränen. Gamina nahm ihn in die Arme und ließ ihn seinen Schmerz ausweinen. Du wirst nie wieder allein sein , hörte er ihre Gedanken in seinem Kopf.
Er stand regungslos da und hielt sie fest, als wäre sie seine einzige Verbindung zum Leben. Und wie schon am Morgen verschwand der Schmerz und ließ ein Gefühl der Erschöpfung, der Wärme und der Erleichterung zurück. Ein Geschwür der Wut, das jahrelang in ihm geschwärt hatte, brach auf, und die giftige Angst und Einsamkeit flössen heraus. Die Wunde würde nicht an einem Tage heilen, vielleicht auch nicht in vielen, doch irgendwann wäre es soweit, und James von Krondor würde ein besserer Mann sein. Er hörte ihre Stimme in seinem Kopf: Und es ist ebenfalls meine Angst, die spricht. Der Zweifel kann uns beide sehr verletzlich machen.
»Ich habe keinen Zweifel«, antwortete er einfach. Sie lächelte und nahm ihn abermals fest in die Arme.
Schritte und ein deutlich vernehmbares Räuspern kündigten Locklears Näherkommen an. »Tut mir leid, wenn ich euch störe, aber Pug würde dich gern sehen, James.« Er lächelte entschuldigend.
»Und deine Mutter hätte dich gern in der Küche bei sich, Gamina.«
»Danke«, erwiderte Gamina. Sie schenkte Locklear ein warmes Lächeln und küßte James auf die Wange. »Wir sehen uns beim Essen.«
Er küßte sie seinerseits, und sie machte sich zur Küche auf. James und Locklear begaben sich zu Pugs Arbeitszimmer. Locklear räusperte sich übertrieben theatralisch.
James sagte: »Du willst mir doch irgend etwas mitteilen. Also los, raus damit.«
Locklear sprudelte heraus: »Sieh mal, wir kennen uns jetzt schon seit … sagen wir zwanzig Jahren. Und in der ganzen Zeit hast du dich nie für Frauen interessiert –« James sah ihn fragend an, und Locklear verbesserte sich: »Ich meine, fürs Heiraten interessiert. Und nun, wie aus
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