Midkemia Saga 06 - Des Königs Freibeuter
noch nie so eins gesehen, und ich habe in Frihaven schon einiges gesehen.« Sie beschrieb Amos das Schiff. »Eine ganze Menge Boote brachten Leute von der Insel zum Schiff. Ich ging nicht näher ran, aber ich weiß, wohin sie wollten.«
»Wohin fuhren sie?«
»Ich bin nicht lange genug geblieben, um das zu erkennen, doch es gibt nur eine Rinne, durch die sie fahren konnten. Sie mußten einige Tage nach Süden fahren. Das Schiff verdrängt mehr Wasser als dieses, du weißt also, was ich meine.«
Amos nickte. »Wenn es soviel Wasser verdrängt, ist das Schiff wahrscheinlich nach Süden gefahren, bis es die Riffe zwischen den Inseln hinter sich gelassen hat.«
Nicholas sagte: »Jetzt wissen wir immer noch nicht, wo es hinfuhr. Warum sollten wir ihr das Gold geben?«
»Weil vor zwei Tagen ein Handelsschiff aus Taroom eingelaufen ist. Sie waren von einem Sturm ein wenig nach Westen abgetrieben worden, und hatten nordöstlich segeln müssen, um nach Frihaven zu kommen. Ein Seemann von diesem Schiff hat mir erzählt, er wäre zwei Tage, ehe sie Frihaven erreichten, im Ausguck gewesen, und dabei hätte er das größte Schiff, das er je zu Gesicht bekommen hat, schwarz wie die Nacht in den Sonnenuntergang segeln gesehen.«
»Sonnenuntergang!« sagte Amos. »Das wäre zu dieser Jahreszeit Südwesten.«
»Aber Kesh liegt im Osten«, warf Nicholas ein.
»Und die Inselkette verläuft von hier aus westlich«, fügte Brisa hinzu.
»Dort gibt es nichts«, meinte Nicholas. »Da ist nur die Endlose See.«
Amos sagte: »Dein Vater hat mir einmal ein paar Karten gezeigt …«
Nicholas sagte: »Von Macros dem Schwarzen! Diese Karten, auf denen andere Kontinente verzeichnet sind!«
Amos schwieg einen Moment lang, dann nickte er. »Mach die Tür auf.«
Nicholas gehorchte. Dahinter stand der Erste Maat. »Mr. Rhodes, ich will die Mannschaft so schnell wie möglich wieder an Bord haben. Wir laufen mit der Abendflut aus.«
»Aye, Käpt’n.«
Das Mädchen stand auf. »Mein Gold«, forderte sie.
»Du bekommst es«, erwiderte Amos. »Wenn wir zurück sind.«
»Zurück!« Sie spuckte das Wort wie eine wütende Katze aus.
»Wer sagt dir, ich wolle mit euch ans Ende der Welt fahren?«
Amos entgegnete mit dem fiesesten Grinsen, das Nicholas je gesehen hatte: »Ich, Mädchen. Und wenn ich merke, daß wir nur deinen Einbildungen hinterherjagen, mußt du ein ganzes Stück weiter schwimmen als nur von hier bis zum Ufer.«
Das Mädchen zog den Dolch, doch Nicholas hatte aufgepaßt und schlug ihr die Klinge mit dem Schwert aus der Hand. »Benimm dich«, sagte er. »Niemand wird dir etwas tun, wenn du keinen Ärger machst. Aber die Leute, die wir suchen, sind uns wichtig, und wenn du lügst, werde ich das nicht mögen. Es wäre besser, du sagst gleich die Wahrheit.«
»Ich lüge nicht. Der Seemann hat mir zu viele Einzelheiten von dem Schiff geschildert. Es ist das richtige. Wenn ihr eine Stunde vor Sonnenuntergang fünf Strich nach Steuerbord peilt, dann liegt ihr genau auf einer Linie mit dem schwarzen Schiff.«
Amos nickte. »Wenn das stimmt, bekommst du dein Gold und noch mehr. Und ansonsten halt dich von meinem Männern fern, denn wenn du Ärger machst, schließ ich dich in den Schrank ein, und da drin ist es nicht ganz so gemütlich. Verstanden?«
Das Mädchen nickte. Mit trotzig vorgerecktem Kinn fragte sie: »Kann ich jetzt gehen?«
Amos stand auf. »Ja. Und Nicholas …«
»Ja?«
»Bleib in ihrer Nähe, bis wir weit genug vom Land entfernt sind, daß sie nicht mehr hinüberschwimmen kann. Wenn sie über die Reling springen will, gib ihr eins über den Schädel.«
Nicholas lächelte. »Mit Vergnügen.«
Das Mädchen durchbohrte ihn mit Blicken, als sie die Kabine verließen.
Verfolgung
Margaret erschauerte.
Abigail fragte: »Was ist mit dir?«
»Dieses … seltsame Gefühl wieder.« Margaret schloß die Augen.
»Und was noch? Sag’s mir«, verlangte Abigail. Seit einem Monat hatte Margaret ein oder zwei Mal am Tag dieses seltsame Gefühl gehabt. Manchmal war es wie ein Frösteln; manchmal schien ihr ganzer Körper zu kribbeln. Es schmerzte nicht und machte ihr keine Angst, aber es war eben seltsam.
»Es ist näher«, sagte Margaret.
»Was ist näher?«
»Das, was immer in mir dieses Gefühl erregt.« Margaret erhob sich und ging zu dem großen Fenster. Sie hatten eine Kabine am Heck des Schiffes über dem Ruderhaus bekommen. Sie war nicht groß, doch sie war besser als ihre erste Kabine. Am Fußende der
Weitere Kostenlose Bücher