Midkemia Saga 06 - Des Königs Freibeuter
Himmel hell geworden, dann war die Sonne über den Horizont geklettert und hatte sofort sengend auf sie heruntergebrannt. Ghuda hatte den Befehl zum Anhalten gegeben. Er hatte sich hingekauert, einen Stock genommen – ein starker Zweig, den er in der Oase geschnitten hatte – und allen gezeigt, wie man daran seinen Mantel festmachte und darunter aufrecht im Schatten sitzen konnte.
Bei Sonnenuntergang hatte Ghuda alle aufgescheucht und jedem gesagt, er solle am Horizont nach Anzeichen von Wasser Ausschau halten, entweder nach Vögeln oder nach Stellen, wo die Lufttemperatur sich zu verändern schien. Niemand hatte etwas entdeckt. Drei weitere Männer waren gestorben. Nun waren sie noch dreiundvierzig. Als Nicholas sich zu ihrem nächtlichen Marsch erhob, wußte er, wahrscheinlich würden wieder einige Männer hegen bleiben. Er fühlte sich niedergeschlagen, konnte jedoch nichts für sie tun.
Jetzt döste Nicholas und konnte nicht schlafen. Sobald er einmal für einen Augenblick in tieferen Schlaf fiel, weckte ihn die Bewegung des Stocks wieder. Einige Männer hatten versucht, für ihre Stöcke Löcher zu graben, doch sie hatten auf steinhartem Boden gelagert. Ghuda meinte, auch wenn sie nicht richtig schlafen könnten, würden sie sich für den Weitermarsch in der Nacht genügend ausruhen. Nicholas bezweifelte das. Als er Ausschau hielt, verzerrte die heiße Luft den Horizont.
Nicholas ließ seine Gedanken wandern, während er zu schlafen versuchte. Hier in der Wüste erinnerte er sich an seinen Bruder Borric, der als Gefangener durch die Jal-Pur-Wüste geschleppt worden war, doch nichts, was er Nicholas erzählt hatte, war mit der Ödnis auf diesem Plateau zu vergleichen. Nicholas dachte über seine Brüder nach und darüber, wie sie sich auf der Reise an den Hof der Kaiserin von Kesh verändert hatten. Sie waren in ein Komplott gegen die kaiserliche Familie gezogen worden, das Kesh in einen Krieg mit dem Königreich hatte stürzen sollen.
Borric war von Sklavenhändlern verschleppt worden und hatte auf seiner Flucht Ghuda und Nakor kennengelernt. Dazu hatte ihn noch ein Junge namens Suli-Abul begleitet, doch der war ermordet worden, als er Borric helfen wollte. Danach hatte Borric seinem kleinen Bruder, den er früher immer nur geärgert hatte, mehr Aufmerksamkeit geschenkt.
Nicholas fühlte sich auf einmal wieder sehr klein und wünschte sich in die Geborgenheit seiner Familie zurück.
Er schloß die Augen und versuchte nochmals zu schlafen. Seine Erinnerungen schweiften umher, und er dachte an Abigail, konnte sich jedoch ihr Gesicht nicht mehr recht vorstellen. Er wußte, wie schön sie war, doch die Einzelheiten verschwammen, und sie ähnelte mal einem Dienstmädchen in Krondor und mal einem Mädchen, welches er in Crydee gesehen hatte.
Eine Stimme riß ihn aus dem Halbschlaf. »Es ist Zeit.«
Nicholas schüttelte den Kopf und erhob sich aus der unbequemen Haltung. Er zog den Umhang um die Schultern. Den Stock trug er in der linken Hand. Ohne daß man es ihm hätte sagen müssen, suchte er den Horizont in Richtung Sonnenuntergang nach einem Anzeichen von Wasser ab.
Zwei Männer lagen noch immer am Boden. Nicholas schluckte seine Verbitterung hinunter und untersuchte die beiden. Angst durchschoß ihn, denn einer war Harry Er kniete sich neben seinem Freund hin und war erleichtert, als er ihn leise schnarchen hörte.
Nicholas rüttelte ihn wach. »Es ist Zeit.«
Harry blinzelte ihn mit geschwollenen Augen an. »Hä?«
»Es ist Zeit zum Aufbruch.«
Widerwillig stand Harry auf, und Nicholas fragte: »Wie hast du es denn geschafft, so tief zu schlafen?«
»Wenn du müde genug bist, schläfst du einfach«, erwiderte Harry heiser.
Ghuda kam zu ihnen. »Wieder einer tot.«
Jetzt waren sie also noch zweiundvierzig. Einige Männer zogen die Leiche aus und verteilten die Sachen an diejenigen, die noch welche brauchten. Ghuda reichte Nicholas einen Wasserschlauch, doch der Prinz schüttelte den Kopf.
»Trink«, befahl der Söldner. »Es wäre Mord, wenn du mehr als deine Ration trinkst, und Selbstmord, wenn du nichts trinkst. Ich habe gesehen, wie Männer, die ihren Teil abgelehnt haben, zwei Stunden später tot waren.«
Nicholas nahm den Schlauch, und als das warme und abgestandene Wasser seine Lippen benetzte, trank er. »Nur zwei Mundvoll«, warnte ihn Ghuda.
Nicholas gehorchte und reichte den Schlauch an Harry weiter, der ebenfalls seine Ration trank und den Schlauch weitergab.
Glücklicherweise
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