Midkemia Saga 06 - Des Königs Freibeuter
genaueste nach beschädigten Stellen. Als er es für tauglich befand, sagte er: »Ich brauche das andere.«
Marcus half Nicholas beim Aufsitzen und nahm ihm das Seil ab.
Der Prinz sah sich um. Sie befanden sich in einer Schneise, in der rauhes Gras unter seltsamen Bäumen wuchs, die sich sechs oder mehr Meter in die Höhe erhoben. Riesige grüne Blätter breiteten sich wie Fächer aus und spendeten Schatten. Irgendwo murmelte ein Bach, und in der Nähe der Kante entdeckte Nicholas eine kleine Herde Ziegen.
Calis ging zum Rand der Klippe und schrie hinunter: »Könnt Ihr mich hören?«
Eine leise Antwort bejahte die Frage, obwohl Nicholas die Worte nicht verstehen konnte. Er bat Marcus mit einer Geste, ihm auf die Beine zu helfen, und als er stand, sagte er: »Bin ich froh, daß wir das hinter uns haben.«
Marcus lächelte ihn zum ersten Mal an. »Und ich bin froh, daß du hinter mir warst«, sagte er und streckte die Hand aus.
Nicholas schüttelte sie. »Ich würde ja sagen, war mir ein Vergnügen, aber das wäre eine Lüge.« Er räkelte sich und meinte: »Ich glaube, es gibt keinen Knochen an meinem Körper, der nicht weh tut.«
Marcus nickte. »Ich weiß.«
»Wie hoch sind wir geklettert?«
»Weniger als hundert Meter, schätze ich.«
»Mir kamen sie wie Meilen vor.«
»Ich kenne das Gefühl«, sagte Marcus.
Calis hatte die Füße fest in den Boden gerammt und meinte: »Ich könnte Hilfe gebrauchen.«
Marcus sagte zu Nicholas. »Ruh dich erst einmal aus«, und half Calis mit dem Seil.
Nach kaum fünf Minuten tauchte Brisa am Rand der Klippe auf und kletterte nach oben. Sie erhob sich, klopfte sich den Staub aus den Kleidern und lächelte Marcus an. »Ich bin schon eine Menge herumgeklettert, deshalb dachte ich, ich sollte als erste hochkommen. Als nächster kommt Ghuda.«
Nicholas hinkte zu Marcus, stellte sich hinter ihn und packte das Seil. Obwohl sie zu dritt zogen, verkrampften sich bei der Anstrengung seine Schultern und Beine. Doch er wollte helfen, und nach ein paar Minuten erschien Ghuda.
Der große Söldner zog sich über die Kante und stand sofort auf.
Er blickte Calis an und sagte: »Ich löse dich ab.« Er nahm den Platz des Elben am Seil ein und rammte die Füße in die Erde. »Wenn wir noch dreißig Meter Seil hätten, könnten wir es um diese Dattelpalme winden.«
»Ist das tatsächlich eine Dattelpalme?« fragte Nicholas.
»Ja. Ich zeig Euch, wie man daran hochklettert, wenn Ihr wollt.
Wenn Datteln drauf sind, können wir sie essen. Zuhause mag zwar Herbst sein, aber hier ist Frühling.«
»Ich glaube, heute möchte ich nirgends mehr hochklettern«, meinte Nicholas, während der erste Seemann an der Kante auftauchte.
Ohne etwas zu sagen übernahm der Seemann den Platz von Nicholas am Seil. Nicholas taumelte zu dem kleinen Bach. Dort kniete er sich unter Schmerzen hm und trank. Er richtete sich wieder auf, holte tief Luft und sah sich um. Mit einem Mal wurde der Himmel um ihn herum schwarz und er fiel in ein dunkles Loch.
Es war schon dunkel, als Nicholas das Bewußtsein wiedererlangte. Er sah Harrys Gesicht über sich, das von Feuerschein beleuchtet wurde. »Wie lange war ich weg?«
»Du bist vor einigen Stunden in Ohnmacht gefallen. Ghuda sagte, wir sollten dich einfach ausruhen lassen.«
Nicholas richtete sich auf; er war immer noch leicht benommen und von Kopf bis Fuß zerkratzt, doch die schrecklichen Muskelkrämpfe hatten aufgehört.
Harry half ihm auf die Beine. Nicholas sah sich um. Das Feuer brannte in der Mitte der Lichtung. Die Männer saßen schweigend darum. »Sind alle oben?« fragte Nicholas.
Amos kam zu ihm und sagte: »Alle, die hochkommen werden.«
Nicholas zählte die Männer durch. Es waren sechsundvierzig.
»Und die anderen elf?«
»Sechs waren zu schwach zum Klettern«, sagte Amos verbittert.
»Und das Seil ist mit fünf Leuten daran gerissen. Es war kurz vor Einbruch der Nacht, und sie bekamen Angst und waren zu ungeduldig. Drei konnte das Seil tragen, aber nicht fünf.«
Harry sagte: »Calis und Ghuda haben das Seil so weit wie möglich heruntergelassen, und ich bin mit dem abgerissenen Teil hochgeklettert und habe die beiden Stücke zusammengeknotet. Ich war der letzte.«
Nicholas sagte: »Vielleicht können wir etwas Essen hinunterlassen.«
Ghuda sagte: »Kommt mal mit.«
Nicholas warf Amos einen Blick zu, und der nickte. Calis trat zu den beiden, und zu dritt gingen sie ein Stück davon, bis Nicholas stehenblieb.
Vor ihnen
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