Midkemia Saga 06 - Des Königs Freibeuter
die Wagen und fragte: »Wer zieht hier durch?«
Nicholas berichtete ihm von dem Überfall und der Wiedereroberung der Wagen. Als er fertig war, setzte er noch hinzu:
»Wir verlassen das Land der Jeshandi und wollten Euch nicht stören. Diese Karawane kommt vom Frühjahrsmarkt.« Er hoffte nur, daß der Marktfrieden auch für den Rückweg seine Gültigkeit hatte.
Der Reiter, der gesprochen hatte, löste seinen Gesichtsschutz, und Nicholas blickte in ein junges Gesicht, welches von hohen Wangenknochen und stechenden Augen beherrscht wurde. Irgend etwas kam Nicholas dann vertraut vor. Dann verstand er.
Er drehte sich zu den Wagen um und rief: »Calis! Ihr solltet besser mal herkommen.«
Während der Elb vom Wagen sprang, fragte Ghuda: »Wieso?«
»Seht Euch sein Gesicht an«, meinte Nicholas.
Der Reiter sagte: »Nehmt Ihr Anstoß an meinem Gesicht?« Sein ganzer Körper spannte sich.
»Nein, ich habe nur nicht erwartet, einen von Eurer Art unter diesen Umständen zu treffen.«
Der Reiter beugte sich vor und fragte mit jetzt deutlich feindseliger Stimme: »Und was meint Ihr mit ›einer von Eurer Art‹?«
Calis erreichte sie gerade noch rechtzeitig, um die letzten Worte mitzubekommen. »Er meint, er hat nicht erwartet, einen von den Edhel hier zu treffen.«
Der Reiter blickte ihn verblüfft an und sagte: »Was auch immer das Wort bedeuten mag, Ihr solltet mich besser mit meinem Namen und meinem Titel anreden.«
Calis konnte seine Überraschung kaum verbergen. »Mit Eurem Namen und Titel?«
»Ich bin Mikola, Hetman der Zakosha-Reiter der Jeshandi.«
Nicholas verbeugte sich und lenkte den Hetman so von Calis’ Verwirrung ab. »Und ich bin Nicholas, der Hauptmann dieser Truppe und keines Mannes Feind, der mein Freund sein könnte.«
»Gut gesagt«, meinte Mikola und lächelte breit. »Aber ich kümmere mich nicht um die Angelegenheiten der Stadtmenschen.«
Er drohte Nicholas mit dem Zeigefinger, und das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. »Ich frage mich vielmehr, wer mir meine Ziegen bezahlt.«
Nicholas fragte: »Eure Ziegen?«
»Sicher. Oder habt Ihr die Tätowierungen in den Ohren nicht bemerkt, als Ihr sie geschlachtet habt. Und was habt Ihr so nahe am Rand der Welt gemacht?« Er wartete Nicholas’ Antwort nicht ab und fuhr fort. »Wir sollten hier besser unser Lager aufschlagen und einige Dinge besprechen. Vor allem den Preis für die Ziegen.«
Er bestieg sein Pferd wieder und ritt zurück auf den Hügel, wo er seinen Gefährten Befehle zurief.
Ghuda fragte: »Was hat das alles zu bedeuten?«
Nicholas antwortete: »Er ist ein Elb.«
Ghuda sagte: »Ich habe das nicht bemerkt, und seine Ohren waren verborgen. Außerdem habe ich außer Calis noch nie einen kennengelernt.«
Calis nickte. »Vielleicht habt Ihr noch nie jemanden aus dem Volk meiner Mutter kennengelernt, aber Nicholas hat recht. Er gehört zu den Edhel, und noch wichtiger, er weiß nicht einmal, was das Wort bedeutet.« Calis blickte dem Reiter hinterher, und auf seinem Gesicht machte sich Sorge breit.
Nach Einbruch der Nacht waren sie in Mikolas Zelt zu Gast. Calis blieb den ganzen Abend über sehr still. Der Anführer der Jeshandi mochte sich über die Ziegen aufgeregt haben, doch durch das Festmahl, das er von seinen Leuten auftragen ließ, bezeugte er den Überlebenden der Rauhvogel gegenüber seine Gastfreundschaft sehr deutlich.
Neben Tuka waren Nicholas, Harry, Ghuda, Nakor, Marcus, Amos und Anthony mit in das Zelt des Hetmans gekommen, welches dieser eine Jurte nannte. Es war groß und rund. Eine Plane aus Ziegenhaar und Schafswolle war über ein Lattengerüst gespannt, und Mikola konnte bequem zwei Dutzend Männer beherbergen. Innen war das Zelt mit Bannern und Fahnen verschiedener Farben und Machart verhängt: roter Stoff mit goldenen Zeichen oder Tieren, und an den Säumen mit Perlen abgesetzt. In der Luft lag der schwere Geruch von Gewürzen aus einem Weihrauchbrenner, der den durchdringenden Gestank der Pferde und des menschlichen Schweißes angenehm überdeckte. Diese Menschen konnten eben nur selten Wasser zum Baden verschwenden.
Brisa wurde zu ihrer Überraschung mitgeteilt, daß Frauen zum Zelt des Hetmans keinen Zutritt hatten, jedenfalls mit Ausnahme von Ehefrauen, und die nur zum Vergnügen. Sie machte keinen Aufruhr, doch ihr Gemurmel ließ darauf schließen, was sie davon hielt.
Nicholas bemerkte, wie Marcus lächelte, als er ihre Flüche hörte; endlich war Brisa wieder die alte.
Nach dem guten
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