Midkemia Saga 06 - Des Königs Freibeuter
nickte und bedeutete dem Mann, zur Seite zu treten. Er klopfte an die Holztür und wartete einen Moment lang. Ein Gesicht erschien; es war das gleiche Mädchen wie gestern abend. »Ihr seid spät!«
Nicholas sagte: »Teile deiner Herrin mit, ich sei hier.«
»Sie wird Euch bald empfangen.«
Nicholas war mürrisch, weil er so unsanft aus dem Tiefschlaf gerissen worden war und noch nichts zu essen bekommen hatte. Er sagte: »Sie wird mich jetzt empfangen!« und drängte sich an dem Mädchen vorbei.
Das Innere des Wagens war in ein Schlafzimmer verwandelt worden. Hier konnten es sich die fünf Frauen unterwegs ausreichend bequem machen. Dort, wo er stand, waren an beiden Seiten des Wagens Truhen aufgestapelt, die, wie er vermutete, die persönlichen Habseligkeiten der Damen enthielten. Eine Klappe in der Plane auf der vom Lagerfeuer abgewandten Seite war geöffnet und ließ das Sonnenlicht herein, so daß die Randschana sich vor dem Spiegel schön machen konnte.
Nicholas sah die junge Frau zum ersten Mal bei ausreichendem Licht. Er war beeindruckt. Sie war mindestens ebenso schön wie Abby, bildete jedoch den genauen Gegensatz. Abby war blond und hatte helle Haut, die Randschana war dunkel, hatte schwarze Haare und kaffeebraune Haut. Ihre riesigen braunen Augen besaßen unglaublich lange Wimpern. Ihre Lippen waren voll, doch gegenwärtig wenig anziehend verzogen. Die Randschana schloß eilig ihre rote Seidenbluse, die zuvor Einblick auf den schwarzen Brustwickel gestattet hatte, der ihrem Busen die richtige Form geben sollte. Nicholas errötete, als er die entblößte Haut sah. Doch das wurde ihm gar nicht bewußt, denn sofort fuhr sie ihn zornig an.
»Ihr wagt es, ohne meine Erlaubnis einzutreten!«
»Ich wage es«, erwiderte er. »Dort, woher Ihr stammt, mögt Ihr eine wichtige Persönlichkeit sein, Randschana, doch hier habe ich das Sagen. Vergeßt das nicht.« Er stützte sich auf ein Knie, so daß er dem sitzenden Mädchen in die Augen sehen konnte und fuhr fort: »Was hat es nun mit diesem Unsinn auf sich? Glaubt Ihr, ich würde nach Eurer Pfeife tanzen?«
In ihren Augen blitzte Wut auf. »Kaum mehr Unsinn, als sollte ich nach Eurer Pfeife tanzen. Ich bin die Randschana! Und natürlich werdet Ihr kommen, wenn ich Euch rufen lasse, Bauer!«
Nicholas errötete. Noch nie in seinem Leben hatte jemand so mit ihm gesprochen, und es gefiel ihm auch überhaupt nicht. Sein Vater war ein Prinz, und sein Bruder würde einst König werden, das hätte er ihr am liebsten erzählt, entschied sich jedoch, es in einfache Worte zu verpacken. »Meine Dame, Ihr seid unser Gast, doch es ist leicht, Euch zu unserer Gefangenen zu machen. Ich weiß nicht, welches Schicksal Euch diejenigen zugedacht hatten, aus deren Händen wir Euch gerettet haben, ich kann es mir immerhin vorstellen.« Er betrachtete die anderen Mädchen eingehend und sagte: »Wenn wir Euch und Eure Dienerinnen auf dem Sklavenmarkt verkaufen, könnten wir von dem Erlös reich bis ans Ende unserer Tage leben.«
Er drohte ihr mit dem Zeigefinger und fügte hinzu: »Obwohl wir wahrscheinlich nicht so viel Gewinn hätten, weil Ihr Euch so abscheulich benehmt.« Er erhob sich. »Also bringt mich nicht in Versuchung!«
Er wandte sich ab, und sie sagte: »Ich habe Euch noch nicht entlassen!«
An der Tür drehte er sich um und sagte: »Wenn Ihr ein paar Manieren gelernt habt und Euch für die Rettung aus den Händen dieser Banditen bedanken möchtet, werden wir uns weiter unterhalten. Solange könnt Ihr in diesem Wagen bleiben.«
Er verließ den Wagen, schloß die Tür hinter sich und sagte zu der Wache: »Laßt sie für eine Weile nicht heraus.«
Der Soldat salutierte, und Nicholas ging zu seinem Schlafsack zurück. Er rollte ihn auf und machte Marcus und Amos ein Zeichen, sie sollten ihm folgen. Als sie ein Stück von den anderen entfernt waren, sagte er: »Nur wir drei und Calis wissen, was hier wirklich auf dem Spiel steht, und das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Doch die Lage bietet uns auch einige Möglichkeiten.«
»Die da wären?«
»Wir bringen dieses laute und freche Kind zu seinem zukünftigen Gemahl und stellen uns dadurch gut mit ihm, und wenn wir in der Stadt ankommen, haben wir zudem noch eine einleuchtende Geschichte: Wir sind eine Truppe von Söldnern, die nur zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort war.«
Sie gingen zurück zu den anderen. Marcus fragte: »Tuka, was erwartet uns, wenn wir in die Stadt am Schlangenfluß
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