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Midleifcrisis

Midleifcrisis

Titel: Midleifcrisis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Lasse Andersson
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Bild ab, ich barfuß, die ganze Schar hinter mir her, Lehmann verzweifelte Grimassen schneidend, der Pixelpunk eifrig redend, aber es ist mir egal. Später wird diese Episode zu den kleinen Legenden rund um meinen Aufstieg gehören, sie wird meinen Ruf festigen als der genialste, irrsinnigste, unberechenbarste Querkopf, den diese Firma je in ihren Reihen hatte, ein Mann, dem wirklich alles zuzutrauen ist. Und noch viel später wird sie meinen Fall begleiten, denn man habe spätestens nach dem barfüßigen Beginn der abenteuerlichen Internetreise gewusst, dass ich nicht in diese Agentur, sondern in die Klapse gehöre.
    Doch selbst wenn ich das alles jetzt schon wüsste, wäre es mir egal. Denn auch Laura hat ihre Schuhe abgestreift und lächelt. Sie ist zurückgeblieben, hat sich am Weg hingehockt und lässt eine Raupe auf ihren rechten Zeigefinger klettern. Ich gehe zu ihr und hocke mich neben sie, der Rest hält ratlos Abstand. Laura steht auf, trägt das grüne Viech behutsam zum nächsten Busch und setzt es auf einem Blatt ab. Ich sehe ihr schweigend zu. Laura blickt mich an und lächelt. »Auf dem Weg wäre jemand draufgetreten.«
    Sie beobachtet die Raupe, ich beobachte Laura und ich kann ihre Liebe zu diesem Tierchen spüren: ohne Vorbehalte, ohne Berechnung, ohne andere Gedanken als an das Hier und Jetzt, das aus einem kleinen, grünen Borstenviech besteht, welches sich langsam und undankbar in das Blattwerk des Busches verkrümelt. Während ich am Wegesrand hocke, überkommt mich ein überwältigendes Gefühl von Zuneigung, gleichzeitig weiß ich, dass ich, wenn ich hier noch länger in der Hocke bleibe, bald gar kein Blut mehr in den Oberschenkeln haben und umkippen werde, also rappele ich mich auf. Dann sage ich mit belegter Stimme: »Danke!«, und sie scheint sich nicht zu wundern, warum ich das tue, sondern quittiert es mit einem zufriedenen Lächeln, so als wären wir beiden schon ewig auf diesem Planeten unterwegs und würden jeden Tag dessen Geschöpfe retten.
    Die Konferenz ist bis auf Lehmann jetzt zur Gänze barfüßig und endet unter vergnügtem Geschnatter aller Anwesenden auf einem Anleger des Alsterufers, wo ich Lehmann auf Kosten der Agentur die Drinks bezahlen lasse. In einem kleinen Winkel meines Gehirns frage ich mich, was passieren würde, wenn ich beim nächsten Mal die Hosen herunterlasse, ob es dann alle meine jungen Mitarbeiter nachtun würden, und dieser Gedanke irritiert mich so sehr, dass ich den Pixelpunk und Laura freundlich verabschiede, die Versammlung in der Obhut des verzweifelten Lehmann lasse und mir ein Ruderboot ausleihe, mit dem ich die Konferenz auf dem Wasserweg verlasse.
    Auf der Mitte der Alster halte ich inne, betrachte die Segelboote und frage mich, was mit mir los ist. Doch kein Cowboy antwortet, er hat vorhin auf der Wiese ein verbiestertes »Und jetzt retten wir auch noch beschissene Raupenviecher« gemurrt, ist in den Sattel gestiegen und hat sich, wie ich bald feststellen werde, für lange Zeit vom Acker gemacht.

Eine Dreiviertelmillion
    Am nächsten Tag lasse ich mir von Lehmann das Konzept der Pixelpunker erklären. Klingt irgendwie gut. Ein großes Portal, scheißegal, was, beispielsweise der Internetauftritt einer Zeitung oder eines Fernsehsenders, hat Millionen User, die durch die Auswahl der Artikel oder Filme verraten, was sie wollen, was sie mögen, was sie interessiert, und nicht zuletzt, wer sie sind. Das Portal haut den Leuten im Gegenzug etwas auf die Festplatte, was sich Cookie nennt. Dieser kleine Kuchen verrät beim nächsten Mal, was der Typ bei uns wollte, und wir bespielen ihn aus unseren Datenbanken mit passender Werbung. Hat sich der geneigte Kunde einen Artikel über Kinderkrankheiten angeschaut, knallen wir ihm die Werbung von Toys“R ” Us rein, hat er den Fahrbericht vom neuen Benz gelesen, kriegt er Leasingangebote, hat er sich die Titten von Pamela Anderson angeguckt, drehen wir ihm ein Playboy -Abo oder Schlimmeres an. Und selbst wenn er sich die Bilder von der Berliner Gay-Pride-Parade anschaut, könnten wir ihn noch versorgen, weil wir dann einfach mal annehmen, dass er bisweilen Verwendung für Gleitcreme oder praktische Intimrasierer hat. Qualifizierte Werbung wird sich das wenige Jahre später nennen und ein Konzern wie Google damit Milliarden verdienen, wenn auch mit einem wesentlich ausgefeilteren Konzept. Aber Google residiert noch weit in der Zukunft, und zunächst liegt diese irgendwie einleuchtende Idee neben meinen

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