Midnight Breed 03 - Geschöpf der Finsternis-neu-ok-13.11.11
sich
zusammenreißen.
Und er musste Nahrung zu sich
nehmen.
Nicht so sehr, weil er unbedingt
eine Stärkung brauchte, sondern um sich abzulenken. Denn wenn er heute Nacht
nicht wenigstens eines der beiden Hungergefühle stillte, die ihre Krallen in
ihn geschlagen hatten, dann würde er sich die saftige, verlockende Elise mit
Gewalt nehmen, noch bevor die Nacht zu Ende war.
Elise hörte nicht auf zu rennen,
bis sie das Herrenhaus umrundet und den Haupteingang gefunden hatte. Sie
wusste, dass sie hineingehen sollte. Es war spät, und sie fror. Ihre nackten
Füße waren nass und eiskalt, ihr Körper zitterte von der winterlichen
Nachtluft. Sie wusste, wie nahe sie und Tegan eben der Katastrophe gekommen
waren. Sie sollte ihm dankbar sein, dass er ihr die Gelegenheit gegeben hatte,
vor etwas zu fliehen, das sich am Ende nur als Fehler herausstellen konnte, und
zwar als einer, der ihr das Herz brechen würde.
Und doch …
Sie stand auf den breiten
Marmorstufen, die in die Sicherheit führten, und ihre Hand weigerte sich, nach
dem Türknopf zu greifen. Die Angst, die sie noch vor wenigen Augenblicken im
Bootshaus verspürt hatte, war einem anderen Gefühl gewichen - das immer noch
beunruhigend genug war, aber ihr unmittelbares Angstgefühl von vorhin war fort.
Sie hatte Angst gehabt in
diesen kurzen, leidenschaftlichen Minuten mit Tegan. Sie war sich seines
Hungers nach ihr nur allzu bewusst gewesen, und es hatte sie überrascht, wie
sehr sein Hunger auch sie entflammt hatte. Jetzt, als sie wie ein Feigling vor
ihm davongelaufen war, fühlte sie sich … leer.
Elise entfernte sich wieder von
dem eleganten Herrenhaus.
Das war nicht, was sie wollte.
Sobald das kalte Gras unter
ihren Sohlen knirschte, hob sie den klammen Rock an und rannte um die Ecke des
Anwesens zurück. Elise lief Querfeldein über den lang gestreckten Hof und die
Gärten, atemlos, als sie das alte Gebäude am Wasser erreichte. Sie stieß die
Tür auf und rannte die Treppe zum Dachgeschoss hinauf, bereit, Tegan alles zu
geben, was er von ihr nehmen wollte.
Aber das Bootshaus war leer.
Er war schon fort.
Tegan ging zu Fuß in die Stadt
zurück, bewegte sich mit der übernatürlichen Geschwindigkeit, die
Stammesvampire für menschliche Augen unsichtbar machte. Er war froh über die
lange Strecke, die er von Reichens Dunklem Hafen am See gerannt war, froh über
die kalte Luft, die ihm half, wieder einen klaren Kopf zu bekommen, nachdem es
mit Elise beinahe zur Katastrophe gekommen war.
Aber was ihn am meisten freute,
waren die Menschenmassen, die in den dunklen Straßen von Lichtenberg unterwegs
waren, einem deprimierenden Stadtbezirk im Osten von Berlin.
Endlose Reihen von
zwanzigstöckigen Plattenbauten trugen nichts dazu bei, die triste Atmosphäre
der Gegend zu verbessern. So spät waren dort nur wenige Touristen unterwegs,
nur Anwohner eilten mit grimmigen Gesichtern von der Spätschicht nach Hause
oder kamen aus den heruntergekommenen, schmierigen Gaststätten, die man sich
hier als Arbeiter leisten konnte - Menschen, die die DDR in diesem Leben nicht
mehr verlassen würden, auch wenn es die Mauer schon lange nicht mehr gab.
Tegan sah sich mit dem Auge des
Jägers um. Er war darauf getrimmt, nach Rogues Ausschau zu halten, konnte aber
mit einem Blick sagen, dass sich keine Blutsauger in der Nähe befanden. Während
Boston dank Mareks neuerlichem Auftauchen von den blutgierigen Bastarden
praktisch überschwemmt wurde, berichteten Berlin und die meisten anderen
Großstädte schon seit Jahren nur von minimalen Rogueaktivitäten.
Wenn das nicht verdammt schade
war.
Denn jetzt wäre Tegan ein guter,
harter Kampf mit seinen Feinden gerade recht gekommen. Am liebsten hätte er es
mit mehreren gleichzeitig aufgenommen, wenn er sich das hätte aussuchen können.
Er musste seine Aggressionen
niederzwingen, als er eine der desolaten Straßen hinunterging, die tiefer in
den Stadtbezirk hineinführten, auf Ausschau nach seiner Beute dieser Nacht. Als
ihm einige Frauen aus einer Bar in den Weg stolperten und ihn abschätzend von
Kopf bis Fuß betrachteten, wich er ihnen mit einem entnervten Zischen aus.
Er würde sich keine Frau holen.
Das hatte er in der ganzen Zeit
nicht getan … nicht seit Sorchas Tod.
Es war seine eigene
Entscheidung. Etwas, das er sich selbst als Strafe auferlegt hatte, weil er
versagt hatte. Weil er das unschuldige Mädchen nicht hatte retten können, das nur
den Fehler gemacht hatte, ihm zu vertrauen. Aber
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