Midnight Breed 05 - Gefaehrtin der Schatten-neu-ok-15.11.11
vor
der Tür stand. Fast alle im Dunklen Hafen kannten sie, und Andreas hatte
deutlich gemacht, dass Helene in seinem Haus immer willkommen war. Dass sie so
spät noch kam, unangekündigt, und das, während Andreas in einer
Privatangelegenheit zwei Nächte außer Haus war, war allerdings ungewöhnlich.
Noch
ungewöhnlicher war die Tatsache, dass diese sonst so abgebrühte Geschäftsfrau
offenbar völlig verängstigt war.
Von
Besorgnis ergriffen, was wohl mit Andreas'
menschlicher
Gefährtin geschehen sein konnte, stellte der Mann die dampfende Milchtasse ab
und rannte über den Marmorboden des Vestibüls, sein Bademantel flatterte hinter
ihm her wie ein Segel.
„Ich
komme", rief er und hob die Stimme, um Helenes unablässiges Klopfen und
ihre tränenerstickten Hilferufe auf der anderen Seite der Tür zu übertönen. Seine
Finger flogen über das elektronische Eingabefeld der Alarmanlage des Anwesens.
„Einen Moment! Ich bin gleich so weit, Helene. Keine Angst, gleich können Sie
ins Haus."
Als das
elektronische Lämpchen blinkte, um anzuzeigen, dass die Sensoren deaktiviert
waren, warf er den Riegel herum und öffnete die Tür.
„Oh, Gott
sei Dank!" Helene eilte auf ihn zu, ihr Make-up war verlaufen, es rann ihr
in nassen, schwarzen Spuren die Wange hinunter. Sie war bleich und zitterte,
ihre sonst so klaren Augen wirkten irgendwie leer, als sie den Blick rasch
durchs Foyer wandern ließ. „Andreas ... wo ist er?"
„Bis morgen
Nacht in einer Privatangelegenheit nach Hamburg geflogen. Aber Sie sind hier
natürlich willkommen." Er trat zurück, um sie eintreten zu lassen.
„Kommen Sie,
Helene. Andreas würde nicht wollen, dass ich Sie draußen stehen lasse."
„Nein",
sagte sie, und ihre Stimme klang seltsam stumpf.
„Ich weiß,
er würde mich nie abweisen."
Sie kam ins
Foyer und schien sich zusehends zu beruhigen. „Sie haben gewusst, dass er mich
niemals abweisen würde ..."
In diesem
Augenblick erkannte der junge Bewohner des Dunklen Hafens, dass Helene nicht
allein gekommen war.
Bevor er
auch nur erschreckt aufschreien konnte, polterte hinter ihr eine Truppe schwer
bewaffneter Agenten herein, von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet.
Er warf den
Kopf herum, um Helene in äußerstem Entsetzen anzusehen. „Warum?", fragte
er, sah aber die Antwort bereits in ihren leeren Augen.
Jemand hatte
sie in seiner Gewalt. Jemand, der sehr mächtig war.
Jemand hatte
Helene zu seiner Lakaiin gemacht.
Kaum war der
Gedanke zu ihm durchgedrungen, als ihn auch schon der erste Schuss traf. Er
hörte, wie mehrere Salven abgefeuert wurden, hörte die Schreie seiner Familie,
als der Dunkle Hafen mit Schrecken erwachte.
Aber dann
schlug eine weitere Kugel in seinem Schädel ein, und seine Welt und alles, was
in ihr war, versank in Dunkelheit und Stille.
25
Nikolai saß
im Schutz des Rankenzeltes und sah zu, wie ein einzelner Sonnenstrahl durch die
Blätter auf Renatas dunkles Haar schien, während sie schlief. Ultraviolettes
Licht war Gift für seine Spezies - tödlich nach etwa einer halben Stunde
ungeschütztem Aufenthalt an der Sonne -, aber er konnte sich nicht dazu
aufraffen, das kleine Loch in der Pflanzenwand zu flicken, um den verirrten
Strahl zu ersticken. Stattdessen hatte er die letzten paar Minuten neben Renata
gesessen und etwas zu fasziniert beobachtet, wie das Licht auf ihr
ebenholzschwarzes Haar fiel und die seidigen Strähnen mit einem Dutzend
verschiedener Schattierungen von Kupfer, Bronze und Burgunderrot tönte.
Was
stimmte nicht mit ihm, verdammt noch mal?
Er saß da
und starrte ihr Haar an, um Himmels willen.
Starrte
nicht nur, sondern starrte mit total gebannter Faszination. Für Niko bedeutete
das zweierlei, und beide Möglichkeiten machten ihm gleichermaßen Sorgen:
Entweder sollte er ernsthaft über einen Abendkurs bei Vidal Sassoon nachdenken,
oder aber er war dieser Frau komplett verfallen.
So
verfallen, dass eine andere für ihn nicht mehr in Frage kam.
Irgendwo,
irgendwie hatte er sich in sie verliebt.
Was
erklärte, warum er seine Hände nicht mehr von ihr lassen konnte. Von anderen
Körperteilen ganz zu schweigen.
Es erklärte
auch, warum er die ganze Nacht - mit Ausnahme seines schnellen Abstechers ins
Jagdhaus vor Tagesanbruch - damit verbracht hatte, neben Renata zu liegen und
sie in seinen Armen zu halten.
Und wenn er
irgendeine Erklärung dafür brauchte, warum sich seine Brust so eng und schwer
angefühlt hatte, als sie letzte Nacht weinend zusammengebrochen
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