Midnight Breed 06 - Gesandte des Zwielichts-neu-ok-16.11.11
dass Roth ganz in der Nähe war, blieb ihr dieser Teil
der Wahrheit im Hals stecken. Sie wandte unter seinem intensiven, prüfenden Blick
den Kopf ab. „Ich habe Angst, Andreas. Nach allem, was passiert ist, wollte ich
nur in vertrauter Umgebung sein, irgendwo, wo ich mich zu Hause fühle. Ich
wollte ein wenig Frieden.“
„Zu Hause sein, Frieden haben“, sagte er, und
um seinen Mund grub der Zweifel angespannte Falten ein. „Nein, das glaube ich
dir nicht. Du bist davongerannt, als könntest du nicht schnell genug von mir
fort. Ich will wissen, warum. War es wegen dem, was... in dem Traum passiert
ist? Ich wollte dir nicht wehtun, ich will, dass du das weißt.“
Als sie ihn nur in stummer Qual anstarrte, hob
er die Hand und streichelte ihr sanft die Wange. „Gott, Claire... alles, was
ich je wollte, war, dafür zu sorgen, dass du in Sicherheit bist.“
Ein Schluchzen kroch ihre Kehle hinauf.
„Warum?“, murmelte sie. „Warum bist du jetzt erst so zärtlich zu mir, Andre?
Warum nicht damals?“
Er fluchte leise. „Ich musste dich verlassen,
zu deiner eigenen Sicherheit.“
Sie schüttelte den Kopf, weigerte sich, diese
Erklärung zu akzeptieren, aber er fing sanft ihr Kinn, strich ihr mit dem
Daumenballen über die Lippen, es war nur der Hauch einer Berührung. „Ich bin
fortgegangen, weil ich ein Monster geworden bin. Du hast es ja gesehen - das
Feuer, das in mir brennt. Ich war entsetzt bei dem Gedanken, was es denen antun
kann, die ich liebe. Wie dir, Claire. Himmel... besonders dir.“
Sie schluckte, ihre Kehle war trocken. „Warum
hast du mir all das damals nicht gesagt? Zusammen wären wir doch irgendwie
damit fertig geworden...“
„Nein“, sagte er. „Damit konnten wir nicht
fertig werden, nicht damals. Es ist ohne jede Vorwarnung aus mir
herausgebrochen. Ich hatte fast mein ganzes Leben verbracht, ohne zu wissen,
was meine Wut anrichten konnte. Als sie zum ersten Mal entfesselt wurde, hat
sie völlig von mir Besitz ergriffen. Ich habe Deutschland verlassen, weil mir
nichts anderes übrig blieb. Es dauerte fast ein Jahr, bis ich das Feuer endlich
unter Kontrolle gebracht hatte. Und als ich zurückkam, warst du schon mit Roth
zusammen.“
Claire hörte zu, versuchte, das Puzzle all
dieser Informationen zusammenzusetzen. „Du hast dein ganzes bisheriges Leben
gar nichts von deiner pyrokinetischen Fähigkeit gewusst?“
„Ich habe es erst in dieser letzten Nacht mit
dir erfahren.“
„Wir haben uns gestritten“, sagte sie und
erinnerte sich, mit welchen Worten sie damals auseinander gegangen waren.
Sie waren fast den ganzen Abend lang in Hamburg
ausgegangen und hatten ihr Zusammensein genossen, wie schon die letzten Monate
davor. Aber dann hatte eine andere Frau begonnen, mit ihm zu flirten, und
Claire war eifersüchtig geworden. Mit seinem guten Aussehen und lässigen
Charisma war Andreas schon immer ein Frauenmagnet gewesen, aber er hatte ihr
geschworen, dass er nur sie wollte.
Und Claire hatte ihm nicht geglaubt. Sie hatte
Beweise von ihm gefordert - Verbindlichkeit.
Als er gezögert hatte, hatte sie Angst
bekommen, dass er sie nicht wirklich liebte, und ihm eine Szene gemacht.
Egoistisch und verantwortungslos hatte sie ihn genannt. Hatte ihm alles
Mögliche an den Kopf geworfen. Unverschämt war sie gewesen und hatte es auch
gewusst, sogar damals schon.
„Ich habe meine Worte schon in der Minute
bereut, als ich sie ausgesprochen hatte“, sagte sie ihm jetzt, eine Entschuldigung,
die Jahrzehnte zu spät kam. „Ich war jung und dumm, und ich war unfairerweise
viel zu hart mit dir, Andreas.“
Er zuckte die Schultern. „Und ich war ein
dickköpfiger Idiot, der es hätte besser wissen müssen. Stattdessen war ich nur
zu wild darauf, dir zu beweisen, dass du recht hattest. Nachdem ich dich in
Roths Dunklem Hafen stehen gelassen hatte, bin ich in die Stadt gegangen, auf
der Suche nach einem Kampf. Ich habe auch ein paar gefunden, und nachdem ich
mir blutige Knöchel geholt und mit meinem Kopf ein paar Visagen eingeschlagen
hatte, bin ich in einem heruntergekommenen Hotel gelandet, zusammen mit zwei
betrunkenen Frauen, die ich mir unterwegs in einer Bar aufgegabelt hatte.“
Claires Enttäuschung darüber wurde überlagert
von der Sorge; was wohl danach mit ihm passiert war.
„Irgendwann klopfte jemand an die Tür, noch
eine Frau. Ich habe sie reingelasssen, und weil ich... von meiner eigenen
Idiotie abgelenkt war, habe ich das Messer nicht bemerkt, das sie in der
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