Midnight Breed 06 - Gesandte des Zwielichts-neu-ok-16.11.11
Hand
hatte. Sie zog es mir quer über den Hals.“
Claire zuckte zusammen, ihr Herz verkrampfte
sich bei dieser Vorstellung. „Was hast du gemacht?“
„Geblutet“, antwortete er schlicht. „So stark
geblutet, dass ich dachte, ich würde sterben. Wäre ich auch fast. Ich war zu
schwach, um Widerstand zu leisten, als eine Gruppe Stammesvampire ins Zimmer
kam. Sie trugen mich raus zu einem Laster auf der Gasse draußen. Sie haben mich
in Ketten gelegt und auf einem abgelegenen Acker abgeladen. Dort sollte ich
verbluten und bei Sonnenaufgang zu Staub verbrennen.“
„Oh mein Gott, Andre... ich habe diesen Acker
gesehen, nicht? Du hast ihn mir gestern in deinem Traum gezeigt.“
Sein grimmiger Blick bestätigte es ihr.
„Irgendwann zwischen dieser schrecklichen
Stunde und Tagesanbruch spürte ich, wie eine unnatürliche Hitze in mir zu
brennen begann. Sie wurde immer stärker, bis mein ganzer Körper in glühende
Energie getaucht war. Und dann ist sie aus mir herausexplodiert. Ich kann mich
nicht an alles erinnern - eine der angenehmeren Nachwirkungen, wie ich später
erfahren habe. Ich brannte von innen heraus, aber meine Haut fing nicht Feuer.
Bis zur Morgendämmerung waren meine Ketten geschmolzen. Ich habe versucht, mich
in den Schatten zu schleppen, war aber geschwächt vom Blutverlust. Das kleine
Mädchen habe ich erst gesehen, als es direkt neben mir stand.“
Hinter Claires Brustbein zog sich ein Knoten
des Grauens zusammen. „Ein Mädchen?“
Er nickte, bewegte fast unmerklich den Kopf.
Sein Mund war angespannt, sein Gesicht erstarrt vor Reue.
„Sie war wohl erst zehn oder zwölf, und sie war
an diesem Morgen auf dem Acker unterwegs, um nach einer entlaufenen Katze zu
suchen. Sie hat mich gefunden, als ich mich auf allen vieren über den Acker
schleppte, und mich gefragt, ob sie mir helfen könnte. Wegen meiner Halswunde hatte
ich keine Stimme mehr, aber ich hätte sie sowieso nicht warnen können, auch
wenn ich eine Ahnung gehabt hätte, was passieren würde, sobald sie zu nah an
mich rankam. Die Hitze, die von meinem Körper ausging, war immer noch tödlich.“
Claire schloss die Augen, jetzt verstand sie,
was geschehen war. Sie legte ihm die Hand an die Wange, ihr fehlten die Worte,
um den Schmerz auszudrücken, den er über das empfinden haben musste, was er dem
Kind angetan hatte. Einen Schmerz, den er sogar jetzt noch fühlte, nach all
dieser langen Zeit.
„Ich bin vom Acker gekrochen wie ein Tier, und
so fühlte ich mich auch. Schlimmer als ein Tier, etwas so Reines und
Unschuldiges vernichtet zu haben. Ich fand Schutz in einer Höhle, wo ich heilen
konnte. Sobald ich mich erholt hatte, bin ich geflohen. Ich konnte nicht
bleiben ... nicht nach dem, was ich getan hatte. Und obwohl seither Jahre
vergangen sind, ohne dass die Feuer wiederkamen, habe ich doch immer mit der
Angst gelebt, womöglich diejenigen zu verletzen, die mir am wichtigsten sind.“
Seine Finger ruhten leicht auf ihrem Haar, strichen ihr sanft über die Stirn.
„Ich hatte nie vor, dich zu verlassen.
Als ich zurückkam und gehört habe, dass du
inzwischen Roths Gefährtin warst, bin ich in Berlin geblieben und habe
versucht, mir einzureden, dass du mit ihm besser dran warst. So warst du
immerhin vor meiner tödlichen Seite in Sicherheit.“
„Ich habe deine Kraft gesehen, Andre. Ich habe
gesehen, was sie anrichten kann. Aber sie hat mir nichts getan - du hast mir
nichts getan.“
„Ja, noch nicht“, erwiderte er düster. „Aber
jetzt ist sie stärker als je zuvor. Es war leichtsinnig von mir, das Feuer
bewusst herbeizurufen in der Nacht, als mein Dunkler Hafen überfallen wurde. Es
ist tödlicher als früher, und jedes Mal, wenn die Wut in mir auflodert, brennt
sie heißer als das letzte Mal.“
Claire sah seine Qualen, aber anstatt ihr
Mitgefühl zu wecken, stachelten sie einen beißenden Ärger in ihr an. „Ist deine
Rache das alles wert? Ist denn überhaupt irgendetwas es wert, dich dafür
umzubringen? Denn das ist es doch, was du tust, Andre. Du bringst dich um mit
deiner schrecklichen Kraft, und das weißt du auch.“
Er stieß ein scharfes Schnauben aus, ein
wortloses Leugnen.
„Ich tue nur, was getan werden muss. Was danach
mit mir passiert, ist nicht von Belang.“
„Von wegen“, sagte sie. „Verdammt, mir ist es
wichtig, was mit dir passiert. Wenn ich dich jetzt ansehe, sehe ich einen Mann
vor mir, der sich selbst mit seiner eigenen Wut zerstört. Wie oft kannst du dem
Feuer noch standhalten,
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