Midnight Breed 06 - Gesandte des Zwielichts-neu-ok-16.11.11
Hand auf ihre Wange. „Das
ändert gar nichts daran, was wir hier miteinander erlebt haben oder an meinen
Gefühlen für dich. Ich liebe dich, Claire. Aber hier geht es nicht um eine
Entscheidung zwischen ihnen, und dir. Es ist einfach meine Pflicht. Meine Ehre.
Und wenn es mich Roth näher bringt, mit dem Orden gegen Dragos zu kämpfen, umso
besser.“
Claire stand auf und ging unruhig durch den
Raum, fort von ihm. Ihre Schultern waren angespannt. Auch ohne Blutsverbindung
hätte er sofort bemerkt, dass sie tiefer beunruhigt war, als sie eigentlich
Grund hatte.
„Dir war doch klar, dass wir hier nicht lange
bleiben können.“ Er ging zu ihr hinüber und drehte sie sanft zu sich herum.
„Der Orden schickt uns einen Wagen.
Er wird in der nächsten Stunde da sein.“
„Man wird dich umbringen“, sagte sie, und ihre
Stimme versagte. „Andreas, wenn du nach Boston gehst, wirst du sterben. Ich
kann es in meinem Herzen spüren. Wenn deine Rache dich nicht umbringt, dann
wird deine Wut es tun.“
Er hob ihr Kinn, sodass sie gezwungen war, ihm
in die Augen zu sehen. „Ich habe mehr Gründe denn je, weiterleben zu wollen.
Ich suche nicht absichtlich den Tod, aber ich kann nicht so tun, als würde ich
auch nur einen Augenblick lang Frieden finden, bevor Roth und seinesgleichen
nicht ausgelöscht sind. Und du auch nicht.“
„Du kannst nicht gehen“, murmelte sie, weigerte
sich eigensinnig, ihn zu verstehen. Als er den Kopf schüttelte, sprach sie mit
sogar noch größerer Entschlossenheit. „Was, wenn ich dich bitte, deinen Hass
auf Wilhelm Roth aufzugeben? Was, wenn ich dich bitte, dich zu entscheiden...“
„Tu das nicht“, flüsterte er. „Ich habe keine
Wahl.“ Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht und hatte auf einmal das Gefühl,
dass ihm etwas Kostbares unter den Fingern zerrann.
„Wenn ich jetzt bleibe - selbst wenn ich meinen
Hass auf Roth aufgeben könnte, was fangen wir an, wenn er uns suchen kommt?
Denn das wird er, Claire.
Das weißt du genauso gut wie ich.“
„Dann werden wir uns ihm gemeinsam stellen.
Wenn es überhaupt so weit kommt, werden wir ihn
gemeinsam besiegen.“
Reichen schüttelte langsam den Kopf. „Das ist
meine Schlacht, nicht deine. Wenn ich Roth endlich in die Finger bekomme, will
ich dich nirgends in der Nähe haben, es ist viel zu gefährlich. Was denkst du,
was mit dir passiert, wenn das Feuer in mir aufflammt und nicht mehr zu löschen
ist?“
Gott, über dieses entsetzliche Szenario hatte
er schon Hunderte von Malen nachgegrübelt, schon seit jenem Tag auf dem Acker
vor Hamburg. Erst letzte Nacht hatte er wieder darüber nachgedacht, und auch
heute, denn immer noch konnte er die heißen Kohlen spüren, die in seinen
Eingeweiden glommen.
Wie würde er sich jemals verzeihen, wenn Claire
durch ihn Schaden nahm?
„Ich kann es nicht riskieren“, sagte er wieder,
dieses Mal nachdrücklicher. „Und ich werde auch nicht zulassen, dass du ein
solches Risiko eingehst. Ich möchte, dass du noch heute Nacht mit mir ins
Hauptquartier des Ordens kommst. Dort bist du in Sicherheit, und du kannst dort
bleiben, bis...“
„Bis wann?“ Sie schloss lange die Augen, nahm
die ganze Bedeutung seiner Worte in sich auf. „Bis du entweder tot bist oder
sehr nahe dran? Du willst, dass ich tatenlos zusehe, wie du deiner eigenen
Vernichtung entgegengehst, Andre? Jetzt bist du es, der zu viel verlangt.“
Er wollte ihr sagen, dass ihre Ängste
unbegründet waren. Mehr als alles andere auf der Welt wollte er ihr
versprechen, dass er keine Zweifel hatte, wie diese Sache mit Roth ausgehen
würde. Er wünschte sich so sehr, sie beruhigen zu können - dass sie das alles
irgendwie durchstehen würden, dass eine gemeinsame Zukunft sie erwartete, wenn
all das zu Ende war - die Zukunft, die Wilhelm Roth ihr vor so vielen Jahren
gestohlen hatte.
Aber er konnte ihr nichts vormachen. Roth
auszuschalten würde ihm vermutlich den letzten Rest seiner Selbstbeherrschung
kosten. Wenn er seine Kraft zu ihrem höllischen Maximum entfesseln musste, um
den Bastard zu vernichten, würde er es tun. Und er wusste, wenn die Situation
das erforderte, lagen seine Chancen, mit einem Rest intakter Menschlichkeit
daraus hervorzugehen, praktisch bei null.
Er sah hinunter auf ihr schönes Gesicht und
strich ihr zärtlich eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn.
„Zieh dich an, ja? Wir können weiterreden, aber
es wird nicht mehr lange dauern, bis der Wagen da ist und uns abholt. Und du
gehst mit mir mit,
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