Midnight Breed 06 - Gesandte des Zwielichts-neu-ok-16.11.11
durch die dicht besiedelten
Arbeiterviertel.
Er hielt sich vorsichtig in den Schatten der
Seitenstraßen, wo es leichter war, seine Anwesenheit und finsteren Absichten zu
verbergen. Es war eine stürmische, regnerische Nacht, sodass weniger Leute als
sonst auf der Straße unterwegs waren oder rauchend vor den Pubs herumstanden.
Nur eine Handvoll der härtesten und heruntergekommensten Gestalten hatte einen
Grund, heute Nacht draußen zu sein - und Reichen war einer von ihnen.
Mit kühlem Blick sah er sich um, was die Stadt
ihm zu bieten hatte, und wusste, wenn er in diesem Zustand war, angetrieben von
den Nachbeben seiner Macht, war er ein Raubtier im übelsten Sinn des Wortes.
Sein Mund war ausgedörrt, seine Fänge gruben
sich in seine Zunge. In diesem Zustand war er so tödlich wie der Älteste in
Dragos' Versteck. Ein blutdurstiges, wildes Monster.
Als Reichen eine schmale Straße
hinunterschlich, fiel mit lautem Knall eine Tür zu. Er hob abrupt den Kopf. Ein
Mann mit Basecap und ausgeleierten Trainingshosen stürmte über eine wacklige
hölzerne Veranda und schrie einer älteren Frau wüste Beschimpfungen zu, deren
von hinten erleuchtete Silhouette in der Tür aufgetaucht war.
„Schaff deinen Arsch sofort wieder rein,
Daniel!
Hörst du mich?“, keifte sie so laut, dass man
sie noch vier Straßen weiter hörte.
Der junge Mann zeigte ihr den Stinkefinger und
lief weiter. „Du kannst mich auch mal, Mal“, brüllte er ihr zu. „Bleib du hei
deinem Fusel und lass die Finger von meinem Gras! Du schuldest mir zwanzig
Mäuse für den Stoff, den du mir geklaut hast!“
Reichen legte den Kopf schief und beobachtete,
wie der Mann eine dunkle Seitenstraße überquerte.
Mit gesenktem Kopf murmelte der Junge tonlos
all die Dinge vor sich hin, die er der alten Säuferin noch sagen wollte, die
ihn geboren hatte, und bemerkte nicht, dass er in der schmalen Gasse nicht
allein war.
Er sah nicht, wie Reichen sich ihm von hinten
näherte, spürte ihn wahrscheinlich nur als kalten Luftzug in seinem tätowierten
Nacken. Bevor er eine Chance hatte, auch nur verblüfft aufzukeuchen, sprang
Reichen ihn an.
Er warf den Mann auf den rissigen Asphalt, riss
ihm das Kinn hoch und drückte es zur Seite, um den hämmernden Puls an seinem
Hals zu entblößen. Biss tief hinein und saugte seinen Mund voll warmem,
nährendem Blut. Reichen trank hungrig, gierig und ignorierte die schwache
Gegenwehr seines Blutwirtes. Jeder Schluck schmeckte bitter und konnte gegen
die wüstenartige Trockenheit seiner Kehle nur wenig ausrichten. Sein Hunger
hielt immer noch an, selbst als der Mann schon keinen Widerstand mehr leistete.
Reichen fraß. Er konnte nicht aufhören. Er war
nicht einmal mehr sicher, dass er noch wusste, wie das ging - eine der
schrecklichen Folgen seiner Gabe.
Er hätte den Mann wahrscheinlich getötet, doch
plötzlich spürte er kalten, harten Stahl, der sich fest gegen seine Schläfe
presste.
„Die Kantine ist geschlossen, Arschloch.“
Reichen grunzte, nur eine leise Ahnung von
Wiedererkennen flackerte in seinem Verstand auf. Er trank weiter, war fast am
Verhungern.
Der Hahn der riesigen Pistole spannte sich
warnend mit einem lauten metallischen Klicken.
„Loslassen, verdammt, oder du frisst Blei.“
Jetzt knurrte er, verärgert über die Unterbrechung
und immer noch zu fiebrig, um von seinem Blutwirt abzulassen. Blut schoss über
seine Zunge und seine Kehle hinunter, doch das Feuer in seinen Eingeweiden
brannte immer noch, war nicht zu löschen. Er warf dem anderen Stammesvampir
einen wilden Seitenblick zu, um einzuschätzen, wer ihm hier eine geladene und
entsicherte Pistole an den Kopf hielt.
„Verdammte Scheiße“, murmelte der riesige
Vampir.
Die eiskalte Mündung der Pistole fiel von
seiner Schläfe. „Reichen? Das gibt's doch nicht.“
Reichen kannte diesen riesigen Mann mit dem
wilden lohfarbenen Haar und den grimmigen grünen Augen. Krieger, sagte ihm sein
Instinkt, Freund, obwohl Haltung und Tonfall ihm noch vor einem Augenblick
eiskalten Mord angedroht hatten. Es war dieses instinktive Wissen, das Reichen
davon abhielt, den Vampir anzugreifen, als der ihm eine schwere Hand auf die
Schulter legte und ihn von seiner Beute herunterriss. Er wurde kräftig nach
hinten gestoßen, und der andere packte den Menschen, fuhr ihm kräftig mit der
Zunge über die Bisswunden und versiegelte sie.
Reichen saß auf dem Asphalt und sah zu, wie der
riesige Stammesvampir dem Mann die Handfläche auf die Stirn
Weitere Kostenlose Bücher