Midnight Breed 06 - Gesandte des Zwielichts-neu-ok-16.11.11
gegeben, die
uns helfen, ihn aufzuspüren.“
Zum wiederholten Mal begann Claire, ihren
Traumspaziergang von Anfang an zu rekapitulieren.
Als sie bei den Einzelheiten ihrer
Auseinandersetzung mit Roth angelangt war, glitt die Tür des Techniklabors auf
und Tegan kam mit einigen weiteren Kriegern herein, allesamt von Kopf bis Fuß
in schwarzer Kampfmontur. Und hinter ihnen kam Andreas. Er war ähnlich
gekleidet und wirkte mindestens ebenso tödlich wie seine schwer bewaffneten
Kameraden.
Bei seinem Anblick setzte Claires Herz einen
Schlag aus. Direkt nach ihrem Traumspaziergang zu Roth hatte sie daran gedacht,
zu ihm zu gehen. Aber so, wie sie in der Kapelle auseinandergegangen waren, war
sie nicht sicher, ob sie seine Nähe noch ertragen konnte. Und eine ängstliche
Seite von ihr wusste, dass er wütend werden würde, wenn er herausfand, was sie
getan hatte. Der Blick, den er ihr zuwarf, als er mit Tegan den Raum betrat,
war alles andere als freundlich. Offenbar war er über den Hintergrund dieser
spontanen Ordensversammlung schon im Bilde.
„Woran erinnern Sie sich noch, Claire?“, fragte
Gideon sie jetzt. „Sie sagten, Sie hätten chemische Gerätschaften und Tische
mit Laborausstattung gesehen.“
Sie nickte. „Ja, Mikroskope, Computer,
Messbecher und jede Menge Ampullen und Glasflaschen. Alles wirkte supermodern,
aber ich könnte nicht sagen, welche Art von Experimenten dort durchgeführt
werden.“
„Und hinter dem Labor waren diese verriegelten
Zellen“, soufflierte Gideon.
„Ja, eine Zellenflucht mit eingesperrten
Frauen. Stammesgefährtinnen. Einige von ihnen schwanger.“
Claire spürte Andreas' Blick auf sich
gerichtet, während sie sprach. Die Art und Weise, wie er sie in lastendem
Schweigen von der anderen Seite des Raums her anstarrte, brannte förmlich. „Nach
Roths Worten habe ich den sicheren Eindruck gewonnen, dass die
Stammesgefährtinnen für die Kreatur bestimmt waren.“
„Zu Paarungszwecken“, bemerkte Gideon und warf
einen grimmigen Blick in Tegans Richtung. „Eine neue Generation von
Stammesvampiren, gezeugt von einem Ältesten.“
Noch einmal durchlebte Claire die Übelkeit, die
sie beim Anblick der Frauen und bei Roths Worten überkommen hatte. „Er hat
erzählt, er hätte Dragos schon mit Stammesgefährtinnen versorgt, bevor ich ihm
begegnet bin, das war vor dreißig Jahren.“
„Um Gottes willen“, fauchte Tegan. „Wie viele
Gen Eins kann er im Lauf von ein paar Jahrzehnten wohl geschaffen haben?“
„Wenn er ständigen Nachschub an
Stammesgefährtinnen hatte?“, erwiderte Gideon. „Bei der Vorstellung graut mir.“
„Und wer sagt, dass Roth der Einzige war, der
ihm welche geliefert hat“, fügte Rio düster hinzu. Er sah zu Dylan. „Wie viele
Vermisstenmeldungen von Stammesgefährtinnen hast du aus den Unterlagen der
Dunklen Häfen gesammelt, Süße?“
„Zurückreichend bis wann?“, fragte sie sachlich
zurück. „In letzter Zeit gehen die Zahlen deutlich in die Höhe, aber wir haben
auch Meldungen gefunden, die bis zur letzten Jahrhundertwende zurückreichen.
Und da sind die Frauen, die jedes Jahr aus der
menschlichen Bevölkerung verschwinden und die ebenfalls Stammesgefährtinnen
sein könnten, noch gar nicht mit eingerechnet.“
Erklärend wandte sie sich an Claire. „Vor
einigen Monaten, als Rio und ich uns begegnet sind, habe ich entdeckt, dass
meine besondere Gabe darin besteht, dass ich tote Menschen sehe. Also
eigentlich tote Stammesgefährtinnen. Ich habe einige in dem Asyl für
Straßenkids gesehen, wo meine Mutter gearbeitet hat. Sie haben mich gebeten,
ihren gefangenen Schwestern zu helfen - sie zu retten, bevor er sie alle tötet.
Sie erzählten mir, dass es weitere gibt, die noch am Leben sind und
unterirdisch in Dunkelheit gefangen gehalten werden. Und sie haben mir auch den
Namen ihres Entführers genannt: Dragos.“
„Oh mein Gott“, flüsterte Claire bestürzt.
„Sie zu finden ist für mich fast zur
Besessenheit geworden. Seither durchforsten wir Vermisstenmeldungen und gehen
Hinweisen nach, wo einige dieser Frauen zuletzt gesehen wurden oder hingegangen
sein könnten. Vielleicht können wir sie finden. Wenn wir auch nur ein einziges
Leben retten können, war es das wert.“
„Ich werde Ihnen helfen, so gut ich kann“,
versprach Claire. „Und wenn ich kreuz und quer durch ganz Deutschland und die
Staaten reisen muss, um Wilhelm Roth aufzuspüren und ihn dazu zu zwingen,
Dragos zu verraten, werde ich das tun.“
Dylan
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