Miese Chefs
ist er noch misstrauisch, das sieht Gordon gar nicht ähnlich, und die Erfahrung lehrt, dass er seine Begeisterung besser im Zaum halten sollte.
Doch um 10:59 Uhr beginnt sich ein leichtes Hochgefühl breitzumachen, und er entspannt sich, hört sogar auf zu schwitzen und lächelt ein wenig. Erst jetzt lässt Gordon die Falle zuschnappen: »Gute Arbeit, weiter so, und alles, was am Ende des Jahres an Einsparungen noch fehlt, holen wir einfach durch Personalkürzungen in der Finanzabteilung rein – einen schönen Tag noch. Wiedersehen.« Der Abteilungsleiter fragt sich, ob das ein Witz ist, und lässt probeweise ein nervöses Lachen hören. Gordon reagiert zu Recht mit einem Donnerwetter, haut mit der Faust auf den Tisch und stößt einen Stuhl um: »Halten Sie das für einen Witz, meinen Sie, das ist zum Lachen? Wie können Sie es wagen, Ihre Inkompetenz etc. etc.« Der Abteilungsleiter und sein Gefolge aus Buchhaltern und Analysten machen sich rasch davon, blass und zitternd. Später am Abend werden garantiert noch einige Pizzen in die Finanzabteilung geliefert. Hier erteilt uns Gordon eine Lehre über die Wichtigkeit des Erwartungsmanagements. Als Tyrann mit voller Kriegsbemalung erwarten die Leute von Gordon, dass er sich tyrannisch verhält. Die echten Tyrannen wissen diese Zwickmühle zu schätzen, weil sie beweist, dass sie fast zu gut für ihren Job geworden sind. Aber nur weil Sie zu gut in dem, was Sie tun, geworden sind, heißt das noch lange nicht, dass andere nicht leiden sollten. Gordon demonstriert sehr bedacht die Fähigkeit, für Kontraste in seinem Verhalten zu sorgen.
Anfangs gibt er sich warm und verständnisvoll und lullt den Abteilungsleiter und seine Spießgesellen mit einem falschen Gefühl von Sicherheit ein. Gordon ist wie eine Python, die sich langsam um ihre Beute windet. Anfangs ist das Beutestück, in unserem Fall der Abteilungsleiter, noch vorsichtig und bereit zur Flucht. Doch ehe er sich’s versieht, genießt er Gordons schuppige Umarmung schon fast. Genau da, wenn die Beute die wahre Macht der sie umschnürenden Windungen vergessen hat, drückt der Tyrann zu, und zwar fest.
Die Wucht dieser Maßnahme kann so verblüffend, so alarmierend, so heftig sein, dass sie die fantastischsten Verhaltensreaktionen erzeugt. Es ist durchaus denkbar, dass der Finanzleiter jetzt in einer stressinduzierten Orgie von Überstunden drei Tage lang nicht nach Hause geht. Wenn er keinen Zusammenbruch erleidet, ist er aus dem richtigen Holz geschnitzt; wenn er zusammenklappt oder einen Burn-out hat, kann man ihn loswerden (reden Sie mit der Personalabteilung).
Genau dann, wenn die Beute die wahre Macht der sie umschnürenden Windungen vergessen hat, drückt der Tyrann zu, und zwar fest.
Dieses fortgeschrittene despotische Verhalten bezeichnet man als »Talentmanagement«. Es ist keinesfalls geradlinig und es bedarf echter Anstrengung, um innerhalb eines Augenblicks von zuckersüß auf Hölle und Teufel umzuschalten, doch die Großen wissen, dass dies die einzige Möglichkeit ist, die Spreu vom Weizen, die Habenichtse von den Gesegneten und die Verlierer von den Siegern zu trennen. Das ist eine recht subtile Pointe. Kehren wir für einen Moment zu der allgemeineren Lektion zurück. Wenn Sie Ihr Tyrannentum akzentuieren wollen, dann kann es helfen, wenn sie es ein wenig mit vorgetäuschtem Weichei-Benehmen kontrastieren. So werden Ihre Leute das Ausmaß und die Tiefe Ihrer Schrecklichkeit zur Gänze ermessen lernen und sich Ihrer niemals sicher sein.
Um 11:00 Uhr steht Gordons Wagen bereit, um ihn zu einem anderen Gebäude zu fahren, wo ein Meeting mit anderen Abteilungsleitern anberaumt ist. Es soll darin um ein Briefing durch einige Sicherheitsberater bezüglich der einen oder anderen im Entstehen befindlichen Bedrohung gehen. Er nutzt die Zeit im Auto, um drei kurze Anrufe zu machen, zwei, mit denen er den Leuten bei ein paar strategischen Projekten Feuer unterm Hintern macht und Berichte für den Nachmittag fordert, und den dritten bei seiner Frau, um sie daran zu erinnern, seine Wäsche von der Reinigung abzuholen.
Um 11:34 Uhr ist Gordon beim Meeting, das für 11:45 Uhr angesetzt ist. Alle anderen sind bereits eingetroffen, und Gordon nutzt die Gelegenheit, um sich in leicht indiskretem Klatsch über Leute, die er am Wochenende im Golfklub gesehen hat, zu ergehen. Um 11:45 werden die Berater hereingebeten und das Briefing nimmt seinen Lauf. Nach etwa 20 Minuten machen die Berater Anstalten, das
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