Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)
eine leichte Aufgabe lösen. Diese Partner waren jedoch keine Versuchspersonen, sondern Mitarbeiter der Studie. Bevor das Experiment (für die Testpersonen) offiziell begann, tauschten die Partner biographische Daten aus. Die Mitarbeiter, die als Testperson fungierten, gaben an, dass sie an einer psychischen Krankheit litten. Die eine Hälfte der Mitarbeiter erzählte, sie litten an einer Krankheit, die auf ihre Kindheitserfahrungen zurückzuführen sei, der andere Teil behauptete, dass ihre Krankheit von einem biochemischen Ungleichgewicht im Gehirn verursacht sei. Dann wurden die Testpersonen aufgefordert, ihrem Partner beizubringen, Knöpfe in einer bestimmten Reihenfolge zu drücken. Drückten die Partner die Knöpfe in der falschen Reihenfolge, konnte die Testperson als Feedback einen elektrischen Impuls verabreichen, der in seiner Stärke von »kaum wahrnehmbar« bis »unangenehm« gewählt werden konnte. Die Testpersonen, die von der Annahme ausgingen, ihr Partner leide unter einer Erkrankung des Gehirns, erhöhten die Heftigkeit des Impulses schneller als diejenigen, die glaubten, sie hätten es mit einem Partner zu tun, der eine lebensgeschichtlich bedingte Beeinträchtigung hatte.
Die Ergebnisse zeigen, dass Menschen tatsächlich unfreundlicher behandelt und stärker stigmatisiert werden, wenn ihr Leiden als biologische Krankheit gedeutet wird.
Die biologische Verortung der Depression im Hirnstoffwechsel und ihre Deklaration als körperliche Krankheit gehen einher mit der Vorstellung, dass kulturelle Entwicklungen und Überzeugungen wenig oder keinerlei Einfluss auf die menschliche Stimmung und Befindlichkeit oder psychische Krankheiten haben. Dieses Denkmodell hat für die Betroffenen gravierende Nachteile.
Es kann nämlich gezeigt werden, [206] dass gerade die Infragestellung eines solchen Krankheitskonzeptes selbst bei Menschen mit besonders schwerwiegenden psychischen Beschwerden zu positiven Veränderungen führt. Die Patienten werden auf diese Weise zu Mitmenschen, die ihre Entscheidungs- und Handlungskompetenzen wieder in Anspruch nehmen. Sie rechnen sich selbst wieder die Kompetenz eines angemessenen Umgangs mit den Widerfahrnissen ihres Lebens zu.
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Ausstieg aus der Depression: Wut und Tränen
Depressionen lassen sich als ein Versuch verstehen, problematische Erfahrungen zu verarbeiten und ein Problem (oder mehrere Probleme gleichzeitig) zu lösen. Etwas ist nicht so, wie es sein soll oder wie man es erwartet. Der Lösungsansatz bei der Depression besteht darin, an den alten Ansprüchen festzuhalten. Dabei kann es sich um Ansprüche an einen selbst oder an andere handeln. Depressionen sind der Versuch, mit Enttäuschungen umzugehen, ohne die eigene Haltung oder die Situation zu verändern.
Dieser Ansatz ist nicht erfolgversprechend. Im Gegenteil: Plötzlich sind wir die Gefangenen unserer Lösungsversuche – wir finden aus der Depression nicht mehr heraus.
Ein Ausstieg aus Depressionen ist nur möglich, wenn wir auf den Lösungsversuch: »Alles soll wieder so werden, wie es war, oder so, wie ich es mir vorstelle« verzichten. Ob das allein mit der Empfehlung Eckart von Hirschhausens gelingt, öfter mal zu lachen, ist fraglich (»Einen Tag nicht gelacht ist bedrohlicher als ein Tag ohne Stuhlgang – das ist mentale Verstopfung.« [207] ), Wut und Tränen dürften hilfreicher dabei sein. Sie können den Weg frei machen für den Ausstieg aus der Depression.
Empört Euch! – Von der stillen Anklage zur vernehmbaren Wut
Wut und Depressionen sind kaum vereinbar. Wut kann aber auch eine bedeutsame Unterbrechung des bisher praktizierten Umgangs mit Ansprüchen bedeuten.
Familie Maurer revisited
Erinnern wir uns an die Familie Maurer (vgl. S. 229ff.): Das Ehepaar Maurer suchte Hilfe in einer Psychotherapie, weil es sich schuldig fühlte am unglücklichen Leben der Tochter Angelika. Herr und Frau Maurer hatten ihr eigenes Wohlbefinden vom Wohlwollen ihrer Tochter abhängig gemacht. Die Abhängigkeit der Eltern und ihre Bereitschaft, die Verantwortung für das Leben der längst erwachsenen Tochter zu übernehmen, machte alle zu Verlierern: Die Eltern litten, je mehr sie die Schuldvorwürfe ihrer Tochter zu ihren eigenen machten, die Tochter wiederum hatte nichts von den Schuldgefühlen ihrer Eltern.
Der Therapeut schlägt den Eltern deshalb vor, sie könnten ihrerseits der Tochter Schuldvorwürfe machen und sie auffordern, sich bei den Eltern zu entschuldigen. Bis zum Zeitpunkt
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