Mieses Karma
…», rief ich. «… Ich hab einen Riesenhaufen Spendenquittungen …»
Ich rannte immer schneller den Tunnel hinauf, bis meine Hinterbeine sich so mit meinen Mittelbeinen verwickelten, dass ich
stolperte. Ich krachte gegen die Wand. Ein Haufen Erde bröckelte auf mich herab. Und als ich meine Fühler von den feuchten
Klumpen befreit hatte, hatte Buddha sich in Luft aufgelöst.
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Aus Casanovas Erinnerungen: Als mir Buddha vor Jahrhunderten eröffnete, dass ich fortan mein Leben als jämmerliche Ameise
fristen müsste, bedrückte mich ein schrecklicher Gedanke am meisten: Ich würde nie wieder leidenschaftliche Liebesnächte erleben
dürfen.
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9. KAPITEL
Ich war allein in dem Tunnel und mit meinen Gedanken, von denen geschätzte drei Millionen gleichzeitig durch meinen Kopf schossen
und um meine Aufmerksamkeit kämpften. Anfangs sah es noch so aus, als ob das Argument «Ich war im letzten Jahr sogar auf sieben
Benefizgalas» siegen würde. Dann boxte es der Gedanke «Wer gibt dieser fetten Ameise |42| das Recht, über mich zu urteilen?!» für kurze Zeit von der Führungsposition. Doch schließlich siegte im Fotofinish die Feststellung:
«Ach du Scheiße, ich bin wirklich tot.»
Aber bevor ich überhaupt realisieren konnte, was das bedeutete, wurde ich durch ein Stampfen abgelenkt. Es hörte sich an,
als ob eine Kompanie sich näherte – was wohl in erster Linie daran lag, dass sich tatsächlich eine Kompanie näherte. Eine
Ameisenkompanie. Sie kam aus der Richtung, in die Buddha verschwunden war. Vorneweg stapfte eine herrische Anführerin, die
ich dank des ausgeprägten Gehörsinns in meinen Fühlern auch aus der Entfernung deutlich verstehen konnte. Sie brüllte Sätze
wie: «Schneller, ihr Faulpelze», «Euch mach ich Beine», und «Wenn ihr nicht spurt, stopf ich euch die Fühler in die Hinterleibsöffnung!»
Der Anführerin hätte eine Fortbildung in positiver Mitarbeitermotivation sicherlich gutgetan. Hinter ihr gingen zehn Arbeiterinnen.
Sie schleppten etwas, was aussah wie ein Stückchen von einem jener Bio-Gummibärchen, die Lillys Kumpel Nils so gerne aß. Nils
gehörte in die Kategorie «Nervtötkinder». Ich erinnerte mich an meine letzte Unterredung mit dem Balg, als ich ihm mit sanfter
Stimme erklärte: «Wenn du mich noch einmal blöde Schlampe nennst, wird dich nachts ein Monster aufsuchen und dir deinen kleinen
frechen Mund zunähen.»
«Hey du, pack mit an!», schrie die Anführerin.
Ich blickte sie an.
«Ja, dich hab ich gemeint!», brüllte sie.
Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, schließlich wird man nicht alle Tage von einer Ameise angeschrien.
«Welcher Einheit gehörst du an?»
«Ich … ich weiß nicht», antwortete ich ebenso wahrheitsgemäß wie verdattert.
|43| Die Anführerin wurde bei meiner sichtlichen Verwirrung einen Hauch milder: «Ah, verstehe, du warst im großen Nebel.»
«Was für ein großer Nebel?»
«Der große Nebel, der von Zeit zu Zeit draußen erscheint. Die meisten, die er erwischt, sterben jämmerlich. Die, die Glück
haben wie du, werden verwirrt oder blind. Oder beides.»
Das klang für mich verdammt so, als ob es sich bei dem großen Nebel um Insektengift handelte, so wie ich es auch mehr als
einmal – vergeblich – benutzt hatte, um die Ameisen von unserer Terrasse zu vertreiben.
«Ja, ähem … ich bin ein Opfer des großen Nebels», antwortete ich.
«Ich bin Kommandant Krttx», erklärte sie schnarrend.
Ich wunderte mich nicht nur über die Abwesenheit von Vokalen in ihrem Namen, sondern auch über die vielen Narben, die sich
über ihren Körper zogen. Hatte sie sich die im Kampf zugezogen?
«Wie heißt du?», fragte Krttx.
«Kim.»
«Was ist das denn für ein bescheuerter Name?»
Und ich hörte, wie die Soldatinnen leise kicherten.
«Ruhe im Glied», schrie Krttx. Spaß in der Truppe konnte sie anscheinend nicht ertragen.
«Pack mit an, Kim», sagte sie, und aus ihrem Mund klang «Kim» wie ein besonders abfälliges Schimpfwort.
«Nein danke», antwortete ich. Das fehlte mir noch: Tot sein und dann auch noch Gummibärchen schleppen!
«Pack mit an!»
«In diesem Ton schon mal gar nicht.» Mir passte es nicht, so angeschrien zu werden. Wenn in einem Gespräch mit meiner |44| Beteiligung jemand laut wurde, dann war das in der Regel ich.
«Ach, welchen Ton hättest du denn gerne?», fragte Krttx in einem süßlichen Tonfall.
«Einen angemessenen»,
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