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Mieses Karma

Titel: Mieses Karma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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musste man sich wohl die Augen der Priester
     der spanischen Inquisition vorstellen, wenn sie denn fünf Augen gehabt hätten.
    «Wir kennen dich nicht», sagte die Anführerin der drei mit schneidender Stimme.
    «Nun, ich bin neu», erwiderte ich schwach.
    Die drei blickten sich nur kurz an. Ihre Gedanken waren leicht zu lesen: «Da gibt sich jemand als eine von uns aus. Das ist
     ein Frevel. Wir sollten sie an Ort und Stelle töten. Aber möglichst langsam, sonst werden wir diesem Frevel nicht gerecht.»
    Der Schrillen meines Ameisenalarms durchzuckte meinen Schädel. Der Fluchtinstinkt war kaum ausgelöst, als ich schon losrannte.
     So schnell war ich noch in keinem meiner Leben gelaufen. Das Blut pochte in meinem Schädel. Gleichzeitig arbeitete mein Hirn
     unter Hochdruck: «Wie kann ich ihnen nur entkommen?» Am besten, ich stürze ich mich in das Gewühl. Unter den Tausenden Ameisen
     kann ich sie abhängen. Da finden sie mich nie wieder. Genau. Genau, das werde ich ma   …»
    |77| Zum «…   chen» kam ich nicht mehr. Meine Verfolgerinnen waren so schnell wie US Special Forces auf Amphetaminen. Sie überwältigten
     mich binnen einer Sekunde. Dabei gingen die Priesterinnen mit chirurgischer Präzision vor: Sie traten mir simultan gegen die
     Beingelenke, sodass ich mich nicht mehr bewegen konnte. Der Schmerz war unglaublich, aber ich konnte nicht schreien, denn
     eine der Priesterinnen hatte mit einem präzisen Schlag gegen den Hals meinen Sprechapparat außer Gefecht gesetzt. Welche Religion
     diese Ameisen auch immer hatten, Nächstenliebe gehörte offenbar nicht zu ihren wesentlichen Glaubenssätzen.
    «Sollen wir sie gleich töten?», fragte eine der Priesterinnen, und ich hörte eine gewisse Vorfreude in ihrer Stimme, die mich
     erzittern ließ.
    «Nein, wir werfen sie ins Verlies, zu den anderen Gefangenen», bestimmte die Anführerin und schlug nochmal mit vieren ihrer
     Beine auf mich ein.
    «Jetzt muss ich wenigstens nicht mehr nach dem Verlies suchen», schoss es mir durch den Kopf, und mit diesem «Das Glas halb
     voll»-Gedanken wurde ich vor Schmerzen ohnmächtig.

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    16.   KAPITEL
    Als ich wieder aufwachte, lag mein Gesicht tief im Sand. Er knirschte zwischen meinen Kiefern, egal, wie sehr ich auch ausspuckte.
     Benommen richtete ich mich auf und sah, dass ich in einer der Kammern im Erdwall lag. Sie war ziemlich groß, und weit über
     mir war ein Ausgangsloch, das von zwei Priesterinnen der Königlichen Garde bewacht wurde. Ich |78| rechnete mir meine Chancen aus, an ihnen vorbeizukommen, und kam auf ein Ergebnis von 0,0003   Prozent. Aufgerundet.
    Ich sah mich um und sah in einer Ecke eine Flugameise mit eingerissenem Flügel vor sich hin dösen. Schlagartig wurde ich wach:
     Es war der wiedergeborene Mensch. Ich krabbelte auf ihn zu, so schnell ich konnte, was nicht sonderlich schnell war – schmerzten
     mir doch noch die Gelenke von den Schlägen der Priesterinnen.
    «Hallo», sagte ich vorsichtig.
    Er schaute kurz zu mir auf, dann döste er weiter. Er interessierte sich nicht die Bohne für mich.
    Ich kam direkt auf den Punkt: «Ich bin auch ein wiedergeborener Mensch.»
    Nun hatte ich seine Aufmerksamkeit.
    «Ich heiße Kim Lange.»
    Seine Augen leuchteten auf. Er sagte nichts, sicherlich musste er erst mal die Tausende von Gedanken ordnen, die durch seinen
     Kopf schossen. 6
    «Wie heißt du?», versuchte ich ihm beim Ordnen dieser Gedanken zu helfen.
    «Casanova.»
    «Wie bitte was?»
    «Giacomo Girolamo Casanova», zelebrierte er seinen Namen.
    Es gab genau drei Möglichkeiten: 1.   Er war wirklich der wiedergeborene Casanova. 2.   Er wollte mich verscheißern. 3.   Er war völlig durchgeschmirgelt.
    «Ihnen stets zu Diensten, Madame Lange», sagte er mit |79| italienischem Akzent, der wesentlich authentischer klang als der von unserem Potsdamer Stammitaliener.
    Der Wiedergeborene machte eine Verbeugung, bei der er mit seinen Vorderbeinen knickste und mit seinem rechten Mittelbein elegant
     durch die Luft wirbelte, als ob er einen nicht vorhandenen Hut zöge.
    «Sie sind wirklich Casanova?
Der
Casanova?»
    «Sie haben von mir gehört?», fragte er mit fast perfekt gespielter Bescheidenheit.
    «Sie   … Sie müssen schon lange tot sein, wenn Sie wirklich Casanova sind.»
    «Seit dem 4.   Juni 1798.»
    «Das war vor über zweihundert Jahren.»
    «Zweihundert   … Jahre   …?», stammelte er. Für einen kurzen Moment war seine Selbstsicherheit wie

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