Mieses Karma
Meerschweinchen.
Auch keine Ameise, kein Regenwurm oder Eichhörnchen. Als solches war ich ja gerade frisch verstorben. Ein Tourist hatte mit
einem Handy meinen Kopf getroffen, als ich ihm seine Paprikachips klauen wollte. Dies bewies zweierlei: Menschen finden Eichhörnchen
nur so lange niedlich, solang sie ihnen nicht auf die Nerven fallen. Und es gibt Menschen, die können im Urlaub einfach nicht
entspannen.
«Wie geht es dir?», fragte eine mir wohlbekannte Weihnachtsmannstimme.
«Hallo, Buddha, ich würde ja gerne sagen: Lange nicht mehr gesehen, aber ich kann gerade nicht sehen.»
«Das kann man ändern», antwortete er, und plötzlich waren meine Augen voll funktionstüchtig. Ich war ein Beaglewelpe |157| und lag zwischen anderen Welpen in einem Körbchen. Und das wiederum befand sich in einem Zwinger. Man hatte uns wohl gerade
frisch nach der Geburt von der Mama getrennt. Und obwohl ich mal ein Hund werden wollte, hielt sich meine Begeisterung in
Grenzen: Ich fand diese Beagle-Modeerscheinung schon immer albern. «Wenn du alles richtig machst, ist dies das letzte Mal,
dass du als Tier wiedergeboren wurdest», sagte Buddha, der mir als extrem dicker, schwarz-braun-weißer Beagle erschien und
sogar noch alberner aussah als Otto-Normal-Beagle.
«Das letzte Mal …?», fragte ich ungläubig.
«Du hast sehr viel gutes Karma gesammelt in all deinen Leben: Du hast Ameisen gerettet, Meerschweinchen nach Hause gebracht,
Eichhörnchen vor dem Verhungern bewahrt. Und auch wenn du zwischendrin mal gutes Karma verloren hast, hast du jetzt sehr viel
davon auf der Habenseite. Du hast mehr geleistet als je in deinem Leben als Mensch. Du kannst stolz auf dich sein», sagte
Buddha.
Für einen Moment dachte ich, dass ich wirklich stolz sein konnte.
Aber ich dachte es nur. Ich fühlte es nicht. Ich vermisste Lilly. Wie lange hatte ich sie nicht gesehen? Sieben Monate? Acht
Monate? Man verliert bei so vielen Leben schon mal das Zeitgefühl.
«Fast zwei Jahre», sagte Buddha.
«Zwei Jahre?» Mein Herz stockte. Das … das bedeutet, Lilly war jetzt schon fast sieben Jahre alt und ging schon zur Schule. Sie war schon seit zwei Jahren ohne
ihre Mutter.
Ich war völlig fertig. Und stinkewütend. Auf Buddha. Er hatte mir Lilly genommen, er hatte dafür gesorgt, dass ich nicht mehr
in ihrer Nähe war.
|158| «Für deine Leben bist nur du selbst verantwortlich», sagte er lächelnd.
Am liebsten hätte ich ihm selbstverantwortlich eine gescheuert. Aber ich war ein Beagle-Welpe, und er war nicht nur ein dicker,
ausgewachsener Hund, er war der verdammte Buddha. Höchstwahrscheinlich konnte er mich in eine verdammte Regentonne verwandeln,
wenn ihm danach war.
«Fluch nicht immer so viel.»
Und er war ein verdammter Gedankenleser.
«Es gibt nur noch eine Sache, die du lernen musst», sagte Buddha.
«Und sagst du mir auch, welche das ist?», fragte ich mit genervtem Unterton.
Aber Buddha lächelte nur milde und schwieg.
«Diese Antwort habe ich erwartet», sagte ich, noch genervter.
«Du wirst deine Lektion schon noch lernen», erklärte Buddha und rollte seinen Beaglekörper Richtung Zwingertür.
In diesem Augenblick wurde es für mich wieder dunkel. Er hatte mir die Fähigkeit zu sehen genommen. Und ich fragte mich, welche
Lektion der dicke Beagle wohl meinte.
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34. KAPITEL
In den folgenden Wochen wurde ich von Hundezüchtern hochgepäppelt. Als ich alt genug war, floh ich aus dem Zwinger, rannte
auf die Straße und sprang in einen Bus. Ich wollte zu unserem Haus, obwohl ich mir gar nicht |159| sicher sein konnte, ob Alex es überhaupt hatte halten können.
Ich hüpfte an unserer Haltestelle aus dem Bus heraus ins ungemütliche Wetter. Es war zwar schon März, aber der Frühling machte
keinerlei Anstalten, sich zu nähern. Der Regen pladderte auf mein kurzes Fell herab, und ich begann nach nassem Hund zu stinken.
Doch ich spürte die Kälte nicht, und auch mein strenger Körpergeruch machte mir nichts aus, denn ich sah, wie unser Haus erleuchtet
im Regen stand.
Ich sah, wie der Regen an die Fensterscheiben prasselte.
Ich sah, wie der Kamin im Wohnzimmer vor sich hin loderte.
Ich sah wie …
… wie Nina Alex tief in die Augen blickte.
Was zum Teufel machte sie da?
Was sagte sie zu ihm?
Wieso holte sie einen Ring aus einer Schatulle?
Mein Gott, sie machte ihm einen Heiratsantrag!
Das … das … das … macht man als Frau
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