Mieses Karma
Karma sammelt. Mir war klar: Wenn ich Erfolg
haben würde, würde ich höchstwahrscheinlich nach meinem Tod wieder in einem Meerschweinchenstall landen. Oder als Nashorn
im Berliner Zoo, mit sechs Nashorn-Männchen, die allesamt kastriert sind. Aber mir war das absolut egal. Meine zukünftigen
Leben interessierten mich jetzt nicht. Jetzt ging es um mein aktuelles Leben. Und um das von Lilly!
Das Zerstören einer Ehe vollzieht sich in vier Phasen.
Phase eins: Feindbeobachtung
Erst mal fügte ich mich, wie es eine Babysitterin nun mal so tut, in den Alltag in dem Haus, das mal das meinige war, ein.
Dabei beobachtete ich, wie es um die Qualität der Beziehung zwischen Alex und Nina bestellt war. Wie groß war die Liebe der
beiden wirklich?
Ich sah, wie Alex und Nina sich küssten, bevor sie zur Arbeit gingen. Ich sah, wie sie scherzten. Und ich sah, wie er ihr
sehnsüchtig nachblickte.
Und das alles war sehr ermunternd.
Warum? Nun, als wir damals frisch verheiratet waren, dauerten die Abschiedsküsse nie unter einer Viertelstunde und endeten
nicht selten mit Sex. Wenn wir scherzten, dann bekamen wir minutenlange Giggelanfälle, die auch nicht selten mit Sex endeten.
Und wenn ich das Haus verlassen wollte, schaute er mir nicht sehnsüchtig nach, er hielt mich zurück und … genau, hatte Sex mit mir.
|245| Bei Nina gab es nie Sex nach einem Abschiedskuss. Wenn gelacht wurde, dann nur für eine angemessene Zeit und ebenfalls ohne
anschließenden Sex. Und das sehnsüchtige Hinterherblicken von Alex endete mit dem Zuschlagen der Haustür, völlig sexfrei.
Diese Liebe hier war nicht so stark wie unsere damals. Die hier könnte ich zerstören. Ich hatte ja sogar unsere kaputt gekriegt.
Und während ich so den Feind beobachtete, spielte ich mit Lilly.
«Kannst du denn überhaupt kicken?», war eine der ersten Fragen, die sie mir stellte.
«Nein, aber ich kann gut im Tor stehen. Es ist ganz schön schwer, an jemandem wie mir vorbeizuschießen», sagte ich.
Lilly musste grinsen.
Und dann begannen wir zu kicken.
Lilly schoss, was das Zeug hielt, und ich hielt, was das Zeug hielt. Es machte einen unglaublichen Spaß. So viel Spaß hatte
ich als Kim Lange nie mit der Kleinen gehabt, weil ich ständig von Termin zu Termin gehastet war. Erst jetzt – als Maria –
konnte ich unbeschwert mit meiner eigenen Tochter spielen, ohne dabei ständig auch an die Arbeit zu denken. (Wen lade ich
in die nächste Sendung ein? Was für ein Thema wähle ich? Wem gebe ich die Schuld, wenn die Quote schlecht wird?)
Ich war schweißgebadet, aber es machte mir absolut nichts aus. Nicht mal meinem Herzen. Das Fußballspielen mit der lachenden
Lilly sorgte dafür, dass in mir jede Menge Glückshormone ausgeschüttet wurden, die anscheinend besser wirkten als meine Herztabletten.
Und auch Lilly hatte einen Riesenspaß.
|246| «Du bist viel netter als die blöde Nina», sagte Lilly dann auch, während wir beide ein Nutella-Pfannkuchen-Wettessen veranstalteten.
«Magst du Nina nicht?», fragte ich überrascht nach. Anscheinend tat Nina der Kleinen doch nicht so gut, wie ich dachte.
«Nina ist doof», motzte Lilly. Damit sprach sie mir aus dem Herzen, wobei ich noch ganz andere Adjektive als «doof» benutzt
hätte.
«Sie ist eine richtige Scheiß-Kacker-Kuh!» Hach, was konnte meine Tochter doch schön treffend mit Worten umgehen. Ich grinste
so breit, gegen mich wirkten Honigkuchenpferde suizidgefährdet.
«Das ist überhaupt nicht zum Grinsen», sagte Lilly traurig. «Sie hat mich nicht wirklich lieb.»
Mein Grinsen fiel mir aus dem Gesicht, und beschämt musste ich mir eingestehen: Hier ging es nicht darum, ob Nina eine «Scheiß-Kacker-Kuh»
war oder nicht. Hier ging es um meine kleine Tochter.
Ich nahm die Kleine in die Arme, drückte sie ganz fest an meinen verschwitzten Sumo-Leib und beschloss, Phase zwei in Angriff
zu nehmen.
Phase zwei: Eifersucht schüren
Um Eifersucht zwischen Liebenden zu schüren, muss man erst mal verbal den Boden bereiten: «Lilly hat mir erzählt, dass ihre
Mutter gestorben ist», sagte ich beiläufig zu Nina, als ich ihr half, Wäsche im Garten aufzuhängen.
«Ja.»
«Muss hart gewesen sein. Auch für Ihren Mann.»
«Es hat lange gedauert, bis er sich mir öffnen konnte.»
«Hmmm …», sagte ich so bedeutungsschwanger, dass |247| man genau hören konnte, dass ich einen Hintergedanken hatte.
«Was meinen Sie mit ‹Hmmm›?», fragte Nina, die
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