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Mieses Karma

Titel: Mieses Karma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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ich wollte ihn am liebsten schütteln, bis seine Milchzähne ausfielen. Doch bevor ich überhaupt
     was sagen konnte, schrie meine Mutter: «Was soll das, du Flachwichser?»
    «Der Junge ist erst sieben», versuchte der Schiedsrichter zu beschwichtigen.
    «Und wenn er nicht aufpasst, wird er keine acht», konterte meine Mutter.
    Während der Schiri noch die passende Antwort suchte, baute sich der Gästetrainer vor Martha auf. Ein bulliger Mann mit diversen
     Tätowierungen, die so aussahen, als ob sie von einem betrunkenen Chinesen für vier Euro achtzig das Stück gemacht worden waren.
    «Halt’s Maul, Alte!», blaffte er meine Mutter an.
    «Halt selber dein Maul, Vollidiot», erwiderte meine Mutter.
    «Wen nennst du hier einen Vollidioten?», wollte der Trainer wissen und kam nun bedrohlich nah.
    «Dich nenn ich einen Vollidioten, du Hirntoter!»
    Ich war beeindruckt. Meiner Mutter konnte man viel vorwerfen – und das hatte ich in all meinen Leben auch mehr als genug getan   –, aber sie war mutig. Sie hätte sich auch von Krttx, Tierversuchlern oder kanadischen Cowboys nichts sagen lassen. Und in
     diesem Augenblick kam mir ein überraschender Gedanke: Die Unerschrockenheit hatte ich |239| von ihr. Also war nicht alles, was sie mir mitgegeben hatte, suboptimal.
     
    «Sei froh, dass hier Kinder sind, sonst würde ich dir eine langen», sagte der Tattoo-Mann und zog ab. Der Rest des Spieles
     verlief vergleichsweise friedlich. Die gegnerischen Kinder hatten so viel Respekt vor Martha, dass sie die Zahl ihrer Fouls
     an meiner Tochter auf ein Minimum begrenzten. Ich aber schaute Lilly gar nicht mehr zu, sondern betrachtete die furiose Dame
     genauer: Sie war zwar bollerig wie immer, aber irgendwie sah ihr Gesicht gesünder aus. Trank sie nicht mehr? Hatte Nina ihr
     etwa so gutgetan?
    Irgendwann würde ich von diesen «Nina tut gut»-Gedanken Migräne bekommen.
     
    Als das Spiel zu Ende war, verschwanden die Kinder, um sich umzuziehen, und ich ging auf die draußen wartende Martha zu.
    «Waren Sie das nicht eben beim Bus?», wollte sie wissen.
    «Ja, ich arbeite im Vereinsheim», flunkerte ich und fragte scheinheilig: «Na, wollen wir auf den Sieg anstoßen?»
    «Nö, ich trinke nicht.»
    «Nicht mal ein bisschen?», fragte ich erstaunt.
    «Nein!», erwiderte sie heftig, und ich schwieg. Sie blickte mir in die Augen und wirkte mit einem Male verwirrt. Anscheinend
     sah sie – ähnlich wie Daniel Kohn – meine Seele. Nach einer Weile fragte sie: «Sagen Sie mal, kennen wir uns?»
    Mir war es zu blöd, als Antwort «Die Vogelhochzeit» zu trällern, deswegen ließ ich es bleiben und schwieg weiter.
    |240| Aber Martha wurde milder, der Blick in meine Seele schien dazu geführt zu haben, dass sie sich mir öffnete: «Ich trinke seit
     zwei Jahren nicht mehr.»
    Wegen Nina, dachte ich, vielleicht sollte ich mich doch aus dem Leben meiner Familie raushalten.
    Martha fuhr fort: «Mein Arzt hat mich früher immer gewarnt: Wenn ich weiter so viel saufe, wie ich saufe, kratze ich bald
     ab. Aber über das Sterben hab ich mir nie Gedanken gemacht. Das Leben war so scheiße, dass ich es mir schönsaufen musste.
     Aber dann ist meine Tochter gestorben. Und ich hab plötzlich gemerkt, dass man tatsächlich sterben kann. Und ich hab eine
     Scheißangst vor dem Tod.»
    Da hatte mein Tod wenigstens etwas Gutes gehabt. Und Marthas verändertes Verhalten hatte nichts mit Nina zu tun.
    «Na ja, jedenfalls kümmere ich mich jetzt um die Kleine meiner Tochter.»
    Martha wollte alles gutmachen, was sie bei mir falsch gemacht hatte.
    Und ich wollte alles gutmachen, was ich bei Lilly falsch gemacht hatte.
    Anscheinend kann der Tod Menschen auch beleben.
     
    22
    Aus Casanovas Erinnerungen: Ich beobachtete von einem Baum aus, wie die dicke Frau, von der ich nicht ahnte, dass es sich
     bei ihr um Madame Kim handelte, zusammenbrach. Aber ich registrierte es kaum: Ich hatte wegen Mademoiselle Nina viel zu schweren
     Liebeskummer und war daher der einzige Kater auf dieser schnöden Welt, der litt wie ein Hund.

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    53.   KAPITEL
    Abends lag ich wieder auf meinem durchgekrachten Bett. Ich war beeindruckt vom Willen meiner Mutter. Und es tat mir gut, dass
     nicht alles Positive im Leben meiner Familie mit Nina zu tun hatte. Ansonsten war ich keinen Schritt weiter: Wie konnte ich
     mich in das Leben meiner Familie wuseln? Babysitterin zu sein wäre einfach super gewesen. |241| Aber dazu müsste ich meine Mutter aus dem Verkehr

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