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Mieses Karma

Titel: Mieses Karma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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aus der Villa heraus. Ich hatte mich hinter
     einem Fiat Panda auf der gegenüberliegenden Straßenseite versteckt – bei meiner Körperfülle eine Leistung an sich.
    Die beiden spazierten zur Bushaltestelle. Ich schaute ihnen nach. Martha kümmerte sich also um die Kleine. Wie konnte Alex
     ihr nur Lilly anvertrauen? Da hätte er sie ja gleich in die Obhut von Rasputin geben können. (War meine Mutter vielleicht
     der wiedergeborene Rasputin? Nun, das würde den Alkoholkonsum erklären.)
    Der Bus kam, und ich trat hinter dem Fiat hervor. Ich konnte meine Tochter doch nicht mit dieser Frau alleinlassen! Ich war
     nicht weit von der Haltestelle entfernt, vielleicht 250   Meter. Ich rannte los.
    Ich keuchte, ich schnaufte, ich krächzte, ich pfiff aus dem letzten Loch. Da hatte ich noch 200   Meter vor mir.
    Jetzt wünschte ich mir meine Meerschweinchenbeine zurück oder meine Beaglebeine oder, noch besser, den verdammten Sportwagen
     von Daniel Kohn.
    Ich schwitzte, ich tropfte, ich sabberte. Da waren es noch 160   Meter.
    |236| Ich stolperte, ruderte mit den Armen, fiel hin. Noch 158   ¾ Meter. 22
    Der Busfahrer stieg schnell aus und lief auf mich zu: «Brauchen Sie Hilfe?»
    Ich wollte «Ja, bitte» sagen. Aber ich röchelte nur: «Krrhhhh   …», was aber im Wesentlichen das Gleiche aussagte.
    Der Busfahrer stand nun neben mir: «Kommen Sie, ich helf Ihnen auf.»
    Kurz darauf sagte er: «Scheiße, meine Bandscheibe!»
    Es dauerte eine Weile, bis der Mann mir aufgeholfen hatte.
    «Geht’s Ihnen gut?», fragte Lilly, die ebenfalls aus dem Bus gestiegen war. Und ich musste lächeln. Bei ihrem Anblick vergaß
     ich meinen schwachen Atem, mein stechendes Herz und die Tatsache, dass ich nach meinem Sprint stank wie eine Otterherde. Ich
     erwiderte Lillys Lächeln und trällerte aus vollem Herzen: «Der Pfau mit seinem bunten Schwanz macht mit der Braut den ersten
     Tanz.»
    «Was fällt Ihnen ein, meiner Enkelin so was Versautes vorzusingen!», herrschte meine Mutter mich an. Und das, obwohl sie mir
     früher nie Kinderlieder vorgesungen hatte, dafür aber ziemlich häufig Rod Stewarts «Do You Think I’m Sexy?».
    Ich schaute sie nur matt an, während sie Lilly in den Bus zog. Der Fahrer folgte ihr, hielt dabei seinen Rücken und |237| fluchte: «Das kommt davon, wenn man Leuten hilft.» Er wusste ja nicht, dass er gerade gutes Karma gesammelt und so die Wahrscheinlichkeit
     verringert hatte, eines Tages in einem Ameisenhaufen aufzuwachen.
    Ich stieg ebenfalls in den Bus. Meine Mutter zog Lilly auf eine Bank, weit weg von mir. Aber ich ließ sie nicht aus den Augen.
     Ich wollte ja nicht die Haltestelle verpassen, an der sie ausstiegen. Und ich war schwer überrascht: Meine Mutter spielte
     mit Lilly zum Zeitvertreib Tsching-Tschang-Tschong. War das wirklich meine Mutter? Die, die mit mir früher höchstens Spiele
     machte wie «In welcher Hand habe ich die Zigarette?».
    Die beiden stiegen in der Nähe eines Fußballplatzes aus. Ich folgte ihnen in gebührendem Abstand. Am Sportplatz angekommen,
     wurde Lilly stürmisch von anderen Kindern begrüßt, die meisten von ihnen Jungen – in dieser Altersklasse spielte man wohl
     in gemischten Mannschaften. Meine Mutter begrüßte die anderen Eltern mit: «Heute treten unsere Kleinen den anderen gehörig
     in den Arsch!»
    Ich zuckte zusammen, dachte ich doch, dass man das als unangenehm empfinden würde. Tatsächlich aber kamen als Antwort Sprüche
     im selben Stil zurück: «Und danach gibt’s noch was auf den Sack!»
    Hier ging es anscheinend robust zu. Und meine kleine, zarte Lilly war da mittendrin? Mir wurde mulmig zumute. Doch kaum war
     das Spiel angepfiffen, wirkte meine kleine Tochter gar nicht mehr so zart: Sie grätschte, kämpfte und rackerte – aus dem kleinen
     Mädchen, das nachts ohne ihren Schnuff nicht einschlafen konnte, war eine Mischung aus Pippi Langstrumpf und Berti Vogts geworden
     (Gott sei Dank sah sie wesentlich hübscher aus). Ob sie mit dieser Härte versuchte, den Verlust ihrer Mutter zu kompensieren?
    |238| Jedenfalls wurde sie dabei von Martha heftigst angefeuert. Sie rief: «Hack ihn um!», «Die Lusche machst du fertig!» und «Die
     sind doch alle schwul!» So war es wenig verwunderlich, dass Martha bei den Eltern der jungen Gegenspieler nicht sonderlich
     beliebt war.
    Doch dann wurde Lilly umgenietet, brutal von hinten. Von einem Jungen, der dabei auch noch breit grinste. Dieser Mistkerl
     hatte meine Tochter getreten, und

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