Milano Criminale: Roman (German Edition)
Kante. Aber nicht genug, um die Extravaganzen einer solchen Frau erfüllen zu können. Erste Anzeichen gibt es Heiligabend. Sie spazieren unter den Arkaden direkt gegenüber vom Dom entlang. Chantal spiegelt sich zufrieden in den Schaufenstern und lächelt den Männern zu, die sich heimlich, die Ehefrauen untergehakt, nach ihr umdrehen. Übertrieben lässt sie die Hüften schwingen, und ihr Lachen hallt durch die glasüberwölbte Weite der Einkaufsgalerie. Heute sind viele Leute unterwegs, schönes Volk noch dazu. Mit Pelz und Schmuck behängte Damen und Herren in eleganten Anzügen. Man lächelt, tauscht Küsschen hier und da und wünscht sich ein frohes Fest, unterhält sich unter dem großen, mit roten Kugeln und Lichterketten behängten Tannenbaum. Nach ein paar Schritten landen sie und Lampis vor einem erleuchteten Schaufenster. Die Frau ist ganz bezaubert von einem Hermelin. Ihre grünen Augen funkeln.
Er begreift.
»Geh nach Hause«, sagt er, »ich will mal sehen, ob ich den Besitzer finden kann, vielleicht sitzt er in einer der Bars von San Babila.«
Sie steigt in ein Taxi und tut so, als glaube sie ihm, dass irgendjemand am Abend des 24. Dezembers in einer Bar herumsitzt.
Der Amerikaner sucht die nähere Umgebung ab, bis er eine geparkte Giulietta findet: Er schlägt das Seitenfenster ein, verbindet zwei Drähte und fährt seinem ersten Liebesraub entgegen.
Auf den Straßen sind die Nachtwächter auf ihren Rädern unterwegs und Menschen, die aus der heiligen Messe strömen. Er kurvt herum, bis es ruhiger wird. Gegen halb fünf fährt er mit dem Kleinwagen die Fensterscheibe ein. Er springt hinein und versucht, der Puppe den Pelz vom Leib zu reißen, doch sie ist gespickt mit Stecknadeln, also wirft er sie so, wie sie ist, ins Auto und rast mit Vollgas davon.
Als er die Wohnung betritt, ist es schon Morgen. Der Hermelin hängt über seinem Arm.
Chantal erwartet ihn. Wie ein schnurrendes Kätzchen. Sie trägt einen transparenten, rosaseidenen Morgenrock, mit Straußenfedern besetzt. An den Füßen winzige Pantöffelchen mit Absatz und Bommeln an den Spitzen. Betont langsam schreitet sie durch den Flur, einen Fuß vor den anderen setzend wie auf dem Laufsteg, die pure Sinnlichkeit. Als sie neben ihm stehen bleibt, sieht Lampis, dass sie sorgfältig geschminkt ist: die Augen mit Kayal betont und die Lippen so rot wie noch nie. Der Mann will sie umarmen, doch sie entwindet sich, vollführt eine Art Pirouette, um dann den Morgenrock wie zufällig zu Boden gleiten zu lassen.
Nun ist sie nackt bis auf ein Goldkettchen, das ihre Hüfte umschlingt. Er hüllt sie in den Pelz.
»War er teuer?«, fragt die Frau, während sie vor ihm auf die Knie geht.
Statt einer Antwort überlässt sich der Amerikaner ganz dem Dank, den sie ihm abstattet.
Dennoch sind die ersten Ehemonate des Amerikaners nicht die glücklichsten. Als der Champagner leer und das süße Leben an der Riviera Vergangenheit ist, dämpft der graue Alltag in der lombardischen Hauptstadt den Enthusiasmus des Paares. Zumal ein paar Sachen auffliegen und er für sechs Monate hinter Gitter wandert. Alte Geschichten: kleinere Diebstähle und Gaunereien vor allem, aber die Justiz hat ein Elefantengedächtnis.
Chantal übt sich in Geduld und wartet auf ihn, in der Gewissheit, dass ihr Mann sie wieder glücklich machen wird.
Der Amerikaner enttäuscht sie nicht. Er ist nicht untätig in San Vittore, sondern setzt seine Zeit gewinnbringend ein und knüpft Kontakte zu anderen Subjekten der Mailänder Unterwelt – zumeist kleine Halunken –, die sich später als äußerst nützlich erweisen sollen, und plant bis ins Detail eine Reihe von Überfällen. Hier trifft er auch den Baron wieder, mit dem er sich eine Zeitlang sogar die Zelle teilt. Als er freikommt, ist er geladen und bereit, sein Verbrecherleben noch entschiedener als zuvor wieder aufzunehmen.
Doch seine Rückkehr auf die Bühne wird von einem aufwühlenden Ereignis verzögert: Nach langer Krankheit stirbt seine Mutter.
An ihrem Totenbett schwört Lampis, dass er sein Leben ändern will. In den Folgemonaten tut er alles, um dieses Ziel zu erreichen. Er verkauft die Krimenbar und arbeitet eine Weile in einer Fernverkehrsfirma, als Taxifahrer ohne Konzession und als Chauffeur eines Cadillacs, in weißen Handschuhen und Uniform. Er spielt sogar beim Film In einem anderen Land mit, in der Rolle von Rock Hudsons Fahrer.
Doch die guten Vorsätze währen nicht lange: Mit dem bisschen Geld, das er
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