Milano Criminale: Roman (German Edition)
verdient, kann er kaum die großzylindrigen Autos und die kostspieligen Kleider seiner Gattin bezahlen. Er ist nicht gemacht für diese Art von Leben und verscherbelt den Wagen, um von dem Geld ein paar Schießeisen zu kaufen; dann macht er mit dem weiter, was er am besten kann, mit Überfällen. Zuerst arbeitet er allein: Tabakläden, ein paar Boutiquen. Von Banken hält er sich noch fern, denn dafür muss man mindestens zu zweit sein. Mit Geschäften ist es leichter, das geht auch allein: Er verschafft sich Zutritt und ist drei Minuten später wieder draußen. Einfach und schnell.
Allmählich weitet sich sein Aktionsradius auf ganz Norditalien aus, und auch Chantal hilft ihm manchmal. Sie betritt ein Juweliergeschäft zur Ortsbegehung, lässt sich Ketten und Ringe zeigen. Dann kommt Lampis mit der Maschinenpistole im Arm und weiß schon genau, was er rauben will. Sie verstehen sich prächtig, er ist immer verliebter in die grünäugige Schönheit und kann – abgesehen von einigen Ausrutschern mit Mädchen aus Nachtclubs, doch Eifersucht ist ihr fremd – ohne sie nicht sein.
Sie werden unzertrennlich, sind bei den Ordnungshütern als Bonnie und Clyde Italiens bekannt. Die Lust am schnellen Geld hat sie voll im Griff, und sie beschließen, höher zu zielen, auf die Banken. Aber nur auf Zweigstellen.
Sie grasen verschiedene Städte ab, und in seiner Freizeit lässt der Amerikaner es sich gut gehen. In seinem Geltungsdrang nimmt er Musiker, Animierdamen und Kellner der Nachtclubs und Tanzschuppen für sich ein, indem er mit Trinkgeldern von niemals unter fünftausend Lire um sich wirft. Sein Ruhm wächst, und die Menschen sind loyal: So kommt es, dass niemand ihn an die Bullen verrät.
Im Übrigen versteht es Lampis, mit Worten umzugehen. Er ist witzig, nie um eine Antwort verlegen, gerne auch im Mailänder Dialekt. Und er ist nicht gierig.
Eines Tages bei einem Überfall in einem Mailänder Außenbezirk entdeckt er ein Großmütterchen, das wie Espenlaub zittert, während er dem Kassierer die Kanone an die Schläfe hält und dieser ihm das Köfferchen füllt.
Chantal wartet draußen im geklauten Wagen auf ihn, der Motor läuft.
Die Alte steht einen Schritt von ihm entfernt, bleich wie ein Leintuch. Der Amerikaner lässt sie nicht aus den Augen: Er fürchtet, dass sie jeden Augenblick vor lauter Schreck alle viere von sich streckt.
Bevor er abhaut, packt er wie zur Belohnung, dass sie nicht abgekratzt ist, ein Bündel Scheine und drückt es ihr in die Hand.
» Té, vegetta , du sollst auch nicht darben, Alte«, sagt er und rennt hinaus.
Die Frau jedoch dankt es ihm schlecht. Am nächsten Tag trifft ihn fast der Schlag, als er in der Zeitung die Schlagzeile des Tages liest: Rentnerin rettet Teil der Beute .
4
Antonio mag Rom. Entschieden besseres Wetter als in Mailand. Nicht dieser ewige nebiun , sondern ein Sonnentag nach dem anderen, und das im Januar.
Dabei ist er nicht zum Urlaubmachen hier. Gleich nach bestandener Polizeiprüfung hat man ihn in die ewige Stadt geschickt. Er muss selbst zugeben, seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt seit jenem bleigeschwängerten Vormittag in der Via Osoppo, doch am Ende hat sein Starrsinn Früchte getragen.
»Bulle, was für ein Scheißberuf!«
Sein Bruder Giovanni hält mit nichts hinterm Berg, auch nicht mit seiner Meinung zur brüderlichen Berufswahl.
»Wie bist du bloß darauf gekommen? Brauchen wir etwa noch einen Polypen in der Familie? Als ob ein Carabiniere-Opa nicht reichen würde!«
»Das ist nicht dasselbe.«
»Beide beim Militär, beide Sklaven des Staates.«
»Ach, jetzt fang du nicht auch noch an, Giovanni! Oder bist du etwa über Nacht Kommunist geworden? Haben sie dir in der Fabrik eine Gehirnwäsche verpasst mit ihren Reden?«
An diesem Punkt hatte der Bruder abwiegelnd die Hände gehoben: Frieden. Zumindest zwischen ihnen beiden; die Eltern sind da weniger großmütig.
»Wozu haben wir dich so lange auf die Schule geschickt, wenn du dann doch nur Bulle wirst?«, hatte sein Vater gebrüllt. »Willst du denn nicht studieren? Willst du kein Anwalt werden?«
Antonio war keine überzeugende Antwort eingefallen. Er wollte nun mal Polizist werden, das war alles, was er wusste. Sie hatten auf ihn eingeredet, er solle es sich noch einmal überlegen, er dürfe nicht sein Leben ruinieren. Nichts zu machen. Die Diskussion endete mit einem grummelnden Vater und einer stummen Mutter, die sich als Tochter eines Militärs ohnehin zurückhielt.
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