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Milano Criminale: Roman (German Edition)

Milano Criminale: Roman (German Edition)

Titel: Milano Criminale: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Roversi
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Schloss gefallen ist, dreht die Frau das Radio lauter, weil gerade eines ihrer Lieblingslieder von Massimo Ranieri läuft, das in der populären Musiksendung ›Canzonissima‹ antritt. Se bruciasse la città , singt sie mit und hebt mit ein paar angedeuteten Tanzschritten ihre Tochter hoch, »und wenn die Stadt brennt, laufe ich zu dir, zu dir, zurück zu dir …«
    An diesem Morgen wacht Carla auf, weil ihr schlecht ist. Es geht ihr schon eine Weile nicht besonders. Sie versucht, nicht daran zu denken, doch seit den letzten Magenschmerzen hat sie keine Lust mehr, die Heldin zu spielen.
    »Besser, du lässt dich mal vom Arzt untersuchen«, hat Antonio ihr besorgt geraten.
    So sitzt sie nun in der Warteschlange in einer Arztpraxis auf dem Corso Italia. Sie wollte gleich zum Spezialisten, man weiß ja nie. Beim Warten spürt sie, wie ihr ein klein wenig schwindlig wird. Dann hört sie jäh ein riesiges Getöse, als stürze das Nachbarhaus komplett in sich zusammen.
    Nebel und Rauch sind so dicht, dass man kaum die Umrisse der Bank erkennen kann.
    Orientierungslos steigt Antonio aus dem Wagen. Es ist dunkel, und ein unerträglicher Gestank kriecht ihm in die Nase. Brandgeruch vermischt mit etwas, das er nicht identifizieren kann. Sehr intensiv.
    Agente Patrizio Rami ist bei ihm, seit Martinez’ Tod sein neuer Partner.
    »Ich fress einen Besen, wenn das eine Gasexplosion war!«
    Je näher sie kommen, umso surrealer wird der Anblick, der sich ihnen bietet. Schreie von Verletzten, der Boden voll mit jammernden Menschen in ihrem Blut, manche versuchen, zum Ausgang zu robben, dieser Hölle zu entfliehen. Als sie die Schwelle der ehemaligen Geschäftsstelle der Banca dell’Agricoltura übertreten, erwartet sie ein Mosaik aus zerstörtem Leben, tausend und abertausend Bruchstücke, die sich zu einem einzigen, trostlosen Bild zusammenfügen. Zerfetzte Menschenleiber, Beine, die bis in den zweiten Stock des Gebäudes geschleudert wurden, Arme, Hände, Teile von Menschen, die wenige Augenblicke vor der Explosion noch vor den Schaltern anstanden.
    Den zwei Polizisten wird klar, dass der Gestank nur von verbranntem Fleisch stammen kann. Angesichts dieses Grauens ist Antonios einziger Gedanke, den Verletzten zu Hilfe zu eilen, während Rami sich zusammengekrümmt in eine Ecke flüchtet.
    Santi rennt zu seinem Funkgerät. Nach dem, was er gesehen hat, weiß er, dass mindestens hundert Krankenwagen benötigt werden, um allen zu helfen. Doch in der Einsatzzentrale glaubt man ihm nicht.
    »Hundert Rettungswagen wegen eines explodierten Gaskessels? Komm schon, Santi, bleib am Boden!«
    Sie glauben, es handele sich um die klassische Überreaktion eines Menschen, der noch nichts gesehen hat im Leben.
    Die Piazza Fontana füllt sich mit Schaulustigen, noch bevor die Rettungswagen da sind. Tausende von Leuten strömen ins Zentrum, um zu sehen, was passiert ist.
    Um sie herum nur Zerstörung.
    Plötzlich sieht Antonio, wie Kardinal Colomba das Gebäude betritt. Auf dem Boden neben dem Eingang der zerstörten Bank liegen die Überreste eines Mannes. Er ist wie zweigeteilt, der Oberkörper quasi unversehrt, während von dem Rest kaum noch etwas übrig ist.
    Der Kardinal kniet in der Lache aus Blut und aufgelöstem Fleisch nieder, schließt die Augen, bekreuzigt sich. Antonio steht reglos da und sieht zu.
    Der Tote trägt das, was vormals ein Paletot gewesen sein muss, und aus einer Manteltasche ragt der Kopf eines Püppchens. Der Bulle nimmt es hoch.
    »Es gibt ein Kind im Leben dieses Mannes, das seinen Vater leider nie mehr wiedersehen wird.«
    Die Stadt kommt zum Stillstand, völlige Lähmung. Das halbe Polizeipräsidium ist vor Ort. Mobiles Einsatzkommando, Überfallkommando, Politische Abteilung, alle da.
    »Endlich haben sie die Tragweite der Sache begriffen«, flüstert Rami, weiß wie ein Leintuch.
    Wenn man sich umblickt, hat man den Eindruck, die Zeit sei stehen geblieben. In den Mienen der Bevölkerung wie in denen der Ordnungskräfte liest man die Bestürzung. Für so etwas gibt es keine Worte.
    Nach dem dumpfen Knall, der die Scheiben in allen umliegenden Gebäuden erschüttert hat, strömen die Leute aus ganz Mailand herbei. Wie ferngesteuert finden sich alle auf dem großen Platz ein, um zu sehen, was das für ein Schlag war.
    Aus den umliegenden Gassen schießen die Ambulanzen, Feuerwehrwagen, Autos von Polizei und Carabinieri. Die Menschen rufen, die Sirenen heulen, die Verkehrspolizisten brüllen, die Verletzten

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