Milano Criminale: Roman (German Edition)
ist gerade nach Mailand gezogen, er kommt aus …«
»Nein«, unterbricht ihn Vandelli. »Wir brauchen niemanden. Zieh Leine, gandula .«
Pinto sagt nichts dazu, doch der kleine Dummkopf – der gandula , wie man in Mailand sagt – rührt sich nicht vom Fleck. Im Gegenteil, er wird mutiger. »Ich mache alles«, sagt er.
»Verschwinde.«
Sie schauen sich in die Augen.
»Sag mir, was du brauchst, und ich besorg es dir«, sagt der Junge. »Nenn mir irgendwas, und ich tu es.«
Er wirkt wie jemand, der die Welt kurz und klein schlagen könnte, der kleine Fernando. Vandelli fühlt sich an sich selbst erinnert, als er vor vielen Jahren in die Krimenbar gestapft ist und sich vor Lampis aufbaute. Er betrachtet ihn und zieht lange an der Zigarette, bevor er antwortet. Das Jüngelchen da vor ihm ist kaum älter als sechzehn, muss aber schon einiges im Leben gesehen haben, bei der Entschlossenheit in seiner Miene.
»Wir brauchen jemanden mit Motorrad.«
»Kein Problem.«
Ohne ein weiteres Wort geht er hinaus. Zwanzig Minuten später ertönt vor der Bar ein ohrenbetäubender Lärm, das Dröhnen eines Zweizylinders.
Vandelli und die anderen gehen hinaus, um zu schauen, woher der Lärm rührt.
Es ist der gandula , im Sattel eines schwarzen Boliden, ohne Sturzhelm, mit Rüpelmiene und einer Zigarette im Mundwinkel.
»Wäre die okay?«
»Das ist eine Kawasaki«, kommentiert Romolino, der sich mit dieser Art von Schrott auskennt. »Eine zweirädrige Rakete.«
Vandelli bleibt ungerührt.
»Ein Motorrad zu klauen, wenn niemand hinsieht, ist das eine«, erklärt er. »Solche Gino Ceruttis kennen wir hier im Giambellino genug. Aber im Moment der Gefahr der Bullerei ins Auge zu blicken, schaffst du das auch?«
3
Auf die Kawasaki ist wenig Verlass, Fahrgestell und Bremsen sind unterirdisch, so dass der gandula sie kaum lenken kann.
»Nicht umsonst heißt sie auch Sarg«, klärt ihn Romolino auf.
Die Männer von der Bande sitzen im Auto und fahren hinter Fernando her, der auf dem Motorrad Jagd auf Bullen macht. Die von Vandelli verlangte Mutprobe.
Der Junge hat nicht wenig Mühe, die Maschine zu bändigen, die in den Kurven sichtlich ausbricht.
»Er wird sich noch umbringen«, kommentiert Pietra.
Pinto wagt nicht zu atmen. Natürlich, es ist sein Cousin, aber wer hat ihm denn auch befohlen, auf dem Motorrad den Clown zu spielen?
»Der Trick besteht darin, das Gas beim Rausfahren passend zu dosieren«, fährt Romolino fort. »Und natürlich den Verlauf der Kurve richtig einzuschätzen, denn bei dem Fahrgestell musst du in der Kurve unbedingt die Spur wechseln.«
Vandelli sitzt am Steuer, blickt starr auf das Rücklicht des Motorrads und denkt, dass die erstbeste Streife, der sie begegnen, ihn herauswinken wird, bei dem Lärm, den die Kawasaki macht.
Nachdem sie etwa zwanzig Minuten herumgekurvt sind, entdecken sie endlich zwei Streifenwagen am Straßenrand.
Fernando spielt seine Rolle meisterhaft: gibt Vollgas wie ein Irrer und macht einen Krach, dass die Bullen ihn sofort zum Anhalten auffordern.
Er spielt mit ihnen. Bremst ab, bis er fast steht, entreißt dann einem Polizisten die Kelle und gibt wieder Gas.
Vandelli bricht in Gelächter aus und seine Mitfahrer mit ihm.
»Mal sehen, wie er da jetzt wieder rauskommt«, sagt er und freut sich auf das Spektakel.
Die Verfolgungsjagd beginnt. Solch eine Schmach kann die Polizei nicht auf sich sitzen lassen. Die beiden Streifenwagen rasen hinter Fernando her. Sie geben alles, können ihn aber nicht einholen. Und auch das Verbrecherauto darf ihm nicht folgen, das wäre zu auffällig.
»Mal sehen, ob er zurückkommt«, meint der Fahrer, während er umkehrt.
Fernando legt einen aggressiven Fahrstil vor. Gezwungenermaßen, die Bullen haben einen Funkspruch rausgegeben, und zwei Streifenwagen haben sich ihnen angeschlossen. Er muss die Straße wechseln, raus aus Mailand in Richtung Pavia. Also biegt er in eine schmale Landstraße ein, die über die Felder und an zwei Kanälen mit dunklem Wasser vorbei führt.
Er möchte sie abschütteln, schafft es aber nicht; eine Weile kleben sie wie Spürhunde an ihm dran, bis sie an eine Abzweigung kommen und der gandula beschließt, aufs Ganze zu gehen. Hier gelingt ihm ein Kunststück aus Bremsen und Kuppeln, ein alter Trick, den er vor natürlich nicht allzu langer Zeit beim Handtaschenklau gelernt hat. Das Motorrad bäumt sich auf und tut eine Art Sprung nach vorn, so dass er abbiegen kann, ohne von der Straße abzukommen.
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