Milano Criminale: Roman (German Edition)
großartig, als hätte es nie eine Unterbrechung gegeben –, Angie und Pinto. Letzterer nickt, obwohl er nicht allzu viel verstanden hat. Kaum hatte der Film begonnen, hat er der Dünnen einen Zehntausend-Lire-Schein zugesteckt und sich von ihr einen blasen lassen. Er mag nun mal lieber das Freuden- als das Lichtspielhaus.
»Diese Horde von Gaunern ist einfach toll«, schwärmt Vandelli weiter, als sie das Kino verlassen, im Kopf noch die Eindrücke des großen Showdowns. »Das ist es, was wir wollen: eine wilde Horde werden. Eine Bande mit Eiern!«
»Klar, und du bist Butch Cassidy, stimmt’s?«, zieht ihn Nina auf.
»Wer soll das sein? Der kam im Film nicht vor …«
»Der war das Vorbild für den Film, du Esel«, mischt sich Angie ein, »der legendäre Westernheld. Die Wilde Horde war der Name, den die Presse Cassidys Bande gegeben hatte.«
»Na gut, dann bin ich also Butch.«
Der anderen brechen in Gelächter aus, aber für Vandelli ist das kein Spaß; und das werden sie schnell merken, denn er und seine Bande setzen diese Philosophie in die Tat um. Während sie über die leeren Bürgersteige des Viale Abruzzi laufen, ordnet sich seinem Gefühl nach alles, was er von dem Molosser gelernt hat, zu einem großen sinnvollen Ganzen. Und das will sogleich erprobt werden.
»Wir überfallen das Restaurant da.«
»Jetzt?«, fragt Pinto.
»Jetzt«, bestätigt Vandelli. »Hast du dein Schießeisen parat?«
Der andere nickt. Auch Nina und Angie sind dabei. Kein Wunder: Ein Raubüberfall ist ihnen stets eine willkommene Abwechslung.
»Gute Jungs«, lächelt ihr Anführer. »Los geht’s.«
Vandelli ist seit vier Tagen wieder draußen, dank einer Amnestie durch die Regierung, welche die Haftstrafen herabgesetzt hat. Letztlich hat er ein knappes Jahr gesessen und ist jetzt bereit, auf das Spielfeld zurückzukehren.
Keine Sturmhauben, pures Adrenalin und die Knarren gut sichtbar.
Alles läuft glatt. Nach drei Minuten sind sie wieder draußen mit den gesamten Einnahmen des Abends: vierhunderttausend Lire. Bescheidene Beute, doch dieses Mal ging es ja nicht ums Geld; es war eher eine Art Initiation, die offizielle Geburtsstunde der Gang, der Horde. Der Überfall auf dieses Restaurant begründet die Heldensaga, ist die Katharsis, die aus dem einfachen Bankräuber Vandelli etwas Komplexeres macht: eine Art epische Synthese aus Verbrecher, Rebell und Anarchist.
Während sie in Pintos rotem Fiat 128 fliehen, betrachtet Nina ihren Mann aufmerksam. Sie studiert seinen Gesichtsausdruck.
»Was werden wir sein?«, fragt sie schließlich.
Roberto antwortet mit den Worten einer Filmfigur: »Wir träumen alle davon, wieder Kind zu sein. Selbst die Schlimmsten von uns. Die am meisten vielleicht, und ich will wieder der kleine Junge vom Giambellino sein, der vor nichts und niemandem Angst hatte. Der, der in der Via Osoppo seine Helden sieht und beschließt, sie sich zum Vorbild zu machen. Und für den nächsten Schritt, um zu werden wie sie, müssen wir einen Riesencoup landen; dann erst sind wir die härteste Gang, die es gibt. Das werden wir sein.«
2
»Zurück ins Geschäft kommen«, lautet Vandellis Motto. Wieder in den Tritt kommen, nach einem Jahr Pause. Und das meint er ernst. Die Bande neu organisieren, neu strukturieren, einbringen, was ihm der Molosser beigebracht und erzählt hat. Vor allem muss man diejenigen zur Ordnung rufen, die noch vor Ort sind. Viele haben sich mehr schlecht als recht über Wasser gehalten, wenngleich niemand auf die Idee kam, sich eine ehrliche Arbeit zu suchen.
Angie und Nina haben ein paar Brüche getätigt, Apotheken und Tankstellen; Pinto hat sich auf Postschalter und Juweliere spezialisiert; die zwei Comasina-Jungs, Romolino und Pietra, haben einen schwunghaften Handel mit Ersatzteilen aufgebaut: Sie klauen Autos und verdienen dann daran, indem sie die Einzelteile verkaufen. Aber ohne jede Abstimmung, jeder für sich.
Vandelli hat sie alle einzeln aufgesucht und ihnen seine Pläne dargelegt, und wie vermutet hat keiner abgelehnt. Einem Roberto sagt man nicht nein.
Eines Abends versammelt er die fünf in der Bar auf der Piazza Tirana. Sie müssen sich miteinander vertraut machen, sich aufeinander eintunen. Kaum sitzen sie an ihrem Tisch, nähert sich ein Jüngelchen. Pechschwarze Augen, raspelkurze Haare, magerer Körper und olivgrüne Haut. Schweigend bleibt er vor Vandelli stehen.
Schließlich hilft Pinto ihm aus der Verlegenheit.
»Roberto, das ist Fernando, mein Cousin. Er
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