Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Milano Criminale: Roman (German Edition)

Milano Criminale: Roman (German Edition)

Titel: Milano Criminale: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Roversi
Vom Netzwerk:
Bieren bekämpfen.
    Unter fröhlichem Geplänkel machen sie es sich bei der Fernsehübertragung bequem mit der vertraut-beruhigenden Stimme von Nando Martellini. Es ist der 17. Juni 1970, und sie ahnen nicht, dass das Folgende in die Annalen des Weltfußballs eingehen wird als das Spiel des Jahrhunderts.
    Vandelli ist seit ein paar Tagen wieder auf freiem Fuß. Als er sich von dem Molosser verabschiedete, drückte dieser ihn so fest an sich, dass er ernsthaft um die Unversehrtheit seiner Rippen fürchtete. Er will endlich wieder frische Luft atmen, die ganze Nacht draußen sein, Leute sehen, sich nicht in die vier Wände zurückziehen müssen. Das hat er vermisst, dieses Gefühl, frei zu sein, ohne Auflagen und Regeln. Die Monotonie im Knast hat an ihm genagt wie der brennende Docht an einer Kerze.
    Jetzt muss er alles nachholen, und dafür gibt es nichts Besseres, als zusammen mit den Jungs in der Bar auf der Piazza Tirana das Spiel anzusehen. Sie werden schreien, fluchen, sich ärgern und sich freuen, sie werden sich ausleben und sich mit Haut und Haar lebendig fühlen.
    Als die Hymnen erklingen, scheinen die Spieler fast zu eingeschüchtert zum Mitsingen in dem riesigen Aztekenstadion in Mexiko-Stadt unter einem vom Gewitter frisch gereinigten Himmel. Über die Bildschirme flimmern die Großaufnahmen, Beckenbauer, elegant wie ein Italiener mit seinen dunklen Haaren, und Gigi Riva, groß und kräftig gebaut wie ein Teutone.
    Die Betroffenheit der Azzurri löst sich sofort. Los geht es mit Boninsegna, genannt Bonimba, der in der achten Spielminute der ersten Halbzeit mit einem Schuss mit links den Ball zum 1:0 im Tor versenkt.
    »Toller Schuss!« Giovanni springt auf. »Heute machen wir sie platt!«
    Und das Italien der poveri ma belli , der Armen, aber Schönen, jubelt. Dann hält es den Atem an, als Torhüter Albertosi mit einem Hechtsprung einen Bomber-Schuss von Müller über die Latte hebt. Nach den zwei Aktionen jedoch kehrt die Nationalelf auf den Boden zurück. Die regulären neunzig Minuten sind von tödlicher Langeweile. Die Italiener verschanzen sich wie üblich in der Verteidigung, das Spiel ist lahm, mit dem dünnen und spargellangen Facchetti, mit Domenghini, dem bei seinen Fluchten das Trikot aus der Hose rutscht, anfangs noch mit Mazzolas Schnurrbart, dann mit Riveras Hühnerbeinen, als in der zweiten Halbzeit Trainer Valcareggi, der Erfinder der berühmten Staffel, sich endlich entschließt, ihn einzuwechseln.
    Vor den Fernsehgeräten gönnen sich die Italiener kühles Bier, Eis und Espresso bis zum Abwinken und warten geduldig auf den Abpfiff, als seien sie zufrieden, mit diesem großartigen Tor Bonimbas zu gewinnen, das achtzig Minuten lang mauernd verteidigt wird. Kurz vor Schluss jedoch kommt der Gegenschlag in Person des ungelenken Inter-Mailand-Verteidigers, des blonden Schnellinger, der allein im Strafraum den Ausgleichstreffer für Deutschland erzielt. Alles auf Anfang.
    »Scheiße, ich dachte, wir hätten es!«, stöhnt Antonio.
    Die Nachspielzeit scheint unter einem schlechten Stern zu stehen. Tor der Deutschen durch Müller, der einen Fehlpass der italienischen Verteidigung nutzt. Vier Minuten quälende Anspannung, dann antwortet der italienische Ausländer Tarcisio Burgnich auf einen groben Schnitzer des gegnerischen Verteidigers. Ausgleich.
    Die Fans halten den Atem an, dann gehen sie in die Luft, als Italien sich mit dem Abpfiff der ersten Hälfte der Verlängerung erneut im Konter mit einem außergewöhnlichen Alleingang Rivas in Führung schießt. Da glauben die Spieler, und mit ihnen dreißig Millionen Italiener, die trotz der späten Stunde – zwei Uhr nachts – immer noch vor den Bildschirmen sitzen.
    »Los, wir machen sie platt!«, schreit Giovanni. Auch die zwei Frauen sind jetzt zu ihren Männern ins Wohnzimmer gestoßen und verfolgen zitternd die Begegnung. Antonio lächelt und holt noch ein paar Bier aus dem Kühlschrank.
    Das Spiel geht weiter, und die Emotionen schießen hoch. Beckenbauer renkt sich das Schultergelenk aus, bleibt aber stoisch auf dem Feld und spielt mit verbundener Schulter weiter wie ein antiker Gladiator.
    »Das muss doch fürchterlich weh tun«, meint Carla besorgt.
    In der fünften Minute der zweiten Hälfte der Verlängerung gleicht Deutschland aus: Wie immer ist es Müller, der zwischen Rivera auf der Torlinie und dem Pfosten eine Lücke für seinen Kopfball findet. Albertosi, Keeper der Azzurri, verhehlt seinen Ärger über den Mannschaftskollegen

Weitere Kostenlose Bücher