Milano Criminale: Roman (German Edition)
Die Streifenwagen rasen mit Volltempo heran und müssen sich, um ihn nicht zu verlieren, einmal um die eigene Achse drehen. Dem ersten Fahrer gelingt das – er hat eindeutig Mumm –, doch der hintere schafft es nicht auszuweichen und kracht in ihn hinein. Endergebnis: Kreuzung blockiert, den gandula verloren, der in Richtung Stadt verschwindet.
Zwanzig Minuten später steht er wieder vor der Bar von der Piazza Tirana. Er macht den dröhnenden Motor aus, was alle erleichtert aufatmen lässt, und geht auf Vandelli zu, der an einem der Tische im Freien sitzt. Fernando legt die geklaute Verkehrskelle vor ihm auf den Tisch. Der Gangster bietet ihm eine Zigarette an.
»Morgen früh bist du hier. Das Motorrad kannst du zu Hause lassen, das Schießeisen besorgt dir dein Cousin. Und hör endlich auf, so selbstzufrieden zu grinsen.«
4
Manche Verbrechen sind in Vandellis neu angenommener Philosophie erlaubt, andere nicht. Der Verbrecher vom Giambellino passt nicht in das übereilte Klischee des Kriminellen, der für Geld alles macht, im Gegenteil. Er unterscheidet sehr genau und schiebt die Messlatte jedes Mal ein wenig höher. Der Raubüberfall ist das Schlachtross der Gang, zusätzlich genehmigen sie sich manchmal einen Diebstahl – auch um die Reaktion von Gandula zu testen, wie der Junge mittlerweile nur noch genannt wird, und um zu üben. Meistens haben sie vorher einen Tipp bekommen: Einmal muss der Junge einem Händler eine Tasche voller Geld abnehmen, die dieser gerade zur Bank bringt, ein anderes Mal ist ein Juwelier das Opfer, der mit seiner Musterkollektion spazieren geht. Kleine Sachen, in Erwartung des großen Coups. Wie der Diebstahl, den sie in einer Poststelle in der Via San Gimignano durchführen. Eine waschechte Generalprobe, bei der der Neuling aktiv beweisen soll, dass ihm zu trauen ist. Sie sind zu dritt: Vandelli behält mit seiner Sten Gun alles im Auge, Pinto steht mit laufendem Motor draußen – als Einziger ohne Sturmhaube, um nicht aufzufallen –, und Gandula füllt das Geld in den Sack. Eine Aufgabe, die immer demjenigen mit der geringsten Erfahrung zukommt: Hierbei muss man nicht besonders kaltblütig sein, sondern nur einpacken können, was zu kriegen ist.
Doch dann fällt Roberto etwas auf. Am Schalter neben Fernando steht ein alter Mann, der am ganzen Leib zittert und einen Zettel in der Hand hält. Gandula will gerade die Geldscheine des Alten einstecken, da hält Vandelli ihn auf.
»Hast du die Quittung schon unterschrieben, Opa?«, fragt er.
Der Rentner bewegt den Kopf auf und ab wie ein Roboter.
»Dann nehmen wir dein Geld nicht. Lass es ihm.«
Fernando packt die restliche Knete ein.
Zwei Minuten später rennen sie ins Freie. Sie springen ins Auto und machen die Biege.
»Spielen wir öfter die Wohltäter für alte Knacker?«
Vandelli wirft dem Neuen einen zornigen Blick zu, bevor er antwortet.
»Die von der Post und die von den Banken sind nur zu froh, wenn sie ausgeraubt werden. Sie horten immer ein paar Millionen für sich selbst in der Hoffnung, dass solche wie wir sie besuchen kommen. Wenn es dann passiert, zeigen sie die gesamte fehlende Summe an und behalten, was sie versteckt haben. Wirklich. Einmal fehlte bei einem Job von mehr als hundert Millionen fast die Hälfte. Die Frage muss also eher lauten: Willst du einem armen Schlucker das letzte Brot stehlen?«
Gandula nickt. Auch da, wo er herkommt, gibt es bestimmte Werte.
5
An diesem Abend ist die Bande komplett: Vandelli, Pinto, Nina, Angie, die zwei Comasinas und Gandula.
Sie trinken Bier und rauchen, während Vandelli ihnen mit ruhiger Stimme in allen Einzelheiten den großen Coup darlegt, das Comeback mit Knalleffekt, wie er es nennt. Als er verstummt, sieht er anstelle der erwarteten Begeisterung nur blankes Entsetzen.
»Diese Bank ist besser bewacht als der Vatikan«, wirft Pinto ein. »Das scheint mir keine gute Idee zu sein.«
Eine Minute lang schweigen alle.
»Meint ihr das auch?«, fragt der Anführer schließlich in die Runde.
»Die Filiale ist auf dem Corso Italia. Zentrale Lage, stark überwacht«, findet auch Romolino. »Das ist reiner Selbstmord.«
»Scheiße, a ghì el dun de Dio de capì nagott , ihr seid mit Dummheit gesegnet!«, bricht es aus Vandelli heraus, der ins Mailändische verfällt, wenn ihm der Geduldsfaden reißt. »Kapiert ihr denn nicht, dass man für etwas wirklich Großes auch viel riskieren muss? Wenn ihr euch vor Angst in die Hose pisst, sagt es lieber gleich und föra di
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