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Milano Criminale: Roman (German Edition)

Milano Criminale: Roman (German Edition)

Titel: Milano Criminale: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Roversi
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schon. Alles schien glattzulaufen, hätte ihn nicht eine Verkäuferin beobachtet und angefangen zu zetern. Also hatte er mit dem Radio unter dem Arm die Biege gemacht, war aber nicht weit gekommen. Ausgerechnet neben dem Kaufhaus befand sich ein Tabacchi-Laden, wo ein Carabiniere-Maresciallo gerade Zigaretten kaufte. Der sprang in das zwei Meter entfernt wartende Auto und setzte ihn mit seinem Kollegen mit Leichtigkeit fest. Und so war er zum zweiten Mal im Beccaria gelandet. An das erste Mal konnte er sich kaum noch erinnern; er war nur eine Nacht geblieben: Nun muss er vier lange Monate absitzen und hat schon jetzt die Nase voll.
    »Sind wir fertig?«, fragt er noch einmal.
    »Nein.«
    »Ich will Ihnen auch mal ’ne Frage stellen.«
    Die hohe Psychologenstirn mit den Geheimratsecken glänzt vor Schweiß. Der Arzt sieht von seinen Zetteln auf und blickt Roberto in die Augen. Er ist wirklich gespannt auf die Frage.
    »Nur zu.«
    »Dieser Cesare Beccaria, also nach dem der Bau hier benannt ist und so, der hat doch ’ne Menge Bücher geschrieben, oder? Ich persönlich glaube ja, der muss ein ziemliches Arschloch gewesen sein, wenn ein Jugendgefängnis so heißt wie er. Ein Knast sollte doch nach niemandem heißen, außer er geht dir so richtig auf den Sack, was meinen Sie?«
    »Du darfst jetzt auf die Stube gehen, Vandelli.«
    2
    In der Jugendstrafanstalt Cesare Beccaria trifft Vandelli einen Ligera-Kollegen vom Giambellino, Nicola Pinto, der Sohn des Schusters. Ein Jahr älter, kennt er sich im Bau bereits bestens aus. Er ist zum dritten Mal im Becca, und selbst wer nur am Rande mit ihm zu tun hat, kann sich denken, dass es nicht das letzte Mal sein wird. Oder vielleicht doch, denn in wenigen Monaten wird er volljährig, so dass er beim nächsten Mal in der Zwei landen wird, in San Vittore.
    Er und Roberto kennen sich seit vielen Jahren: Tausendmal haben sie zusammen lippa gespielt oder sich auf ihrem carrellotto , der speziell mailändischen Weiterentwicklung des Rollers, an die Straßenbahn gehängt. Ein paarmal haben sie sogar zusammen etwas ausgefressen.
    Robertos einziger Gedanke gilt dem Ausbruch. Er erträgt es nicht, eingesperrt zu sein, und sucht nach Fluchtmöglichkeiten.
    Pinto rät ihm, sich zu entspannen, vier Monate vergehen schließlich wie im Flug.
    Doch Roberto mag diese Einstellung nicht, die sich hier drinnen jeder irgendwann zulegt, auch Pinto. Sie werden zu Fatalisten.
    »Die Strafe will abgesessen werden, also sitzen wir sie ab«, sagen sie. »Und in der Zwischenzeit vertreiben wir uns die Zeit mit den Neuankömmlingen.«
    An diesem Ort ist der Kampf Normalität: Die einen erarbeiten sich durch Übergriffe eine Machtposition, die anderen ducken sich unter diesen Übergriffen.
    Pinto versucht, irgendwo dazwischen die Balance zu halten.
    »Was sich draußen von selbst erledigt, schaukelt sich hier drinnen hoch. Das ist schlicht eine Frage des Platzmangels und der Hormone.«
    Doch Roberto ist niemand, der den Schwanz einzieht. Und es gibt eine Bande im Becca, bei der die Fäden zusammenlaufen.
    Die Jungs vom Giambellino werden in Ruhe gelassen, abgesehen von ein paar Seitenhieben und Schmähungen; die anderen jedoch, das Schlachtfleisch, das täglich aus der Stadt eintrifft, gehört ihnen allein. Und ihrem Sadismus.
    Der Jugendknast – das wissen alle Ligera, die früher oder später mit ihm in Kontakt kommen – ist eine Schule der Unterdrückung, aus der man zwei Lehren ziehen kann: Es gibt feste und unabänderliche Hierarchien, denen man sich blind ergeben muss, und jeder Rang hat das Recht, Macht über jene auszuüben, die tiefer stehen, auch in Form des ordinärsten Sadismus. Eine Logik, mit der sich Vandelli selbst Jahre nach dem Knast nie so ganz abfinden wird.
    »Hier kriegt jeder seine Ladung Scheiße ab, die er dann dort weitergibt, wo er kann«, bringt Nicola die Sache auf den Punkt.
    Doch auch damit kann sein Freund sich nicht abfinden, und vom ersten Tag an verstößt er gegen diese Regeln, den widerstrebenden Pinto im Schlepptau. Der kann gar nicht anders: Die Gegend, aus der ein Mailänder stammt, prägt ihn ein Leben lang, repräsentiert gewissermaßen seine Familie, gibt ein Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühl, das niemand so leicht abstreifen kann. Wenn man seine Wurzeln nicht mehr respektiert, seine Freunde, dann hat man nichts Besseres verdient als eine Kugel in den Kopf. Oder als Verräter bei den Bullen zu landen.
    Am selben Nachmittag auf dem Hof, diesem von

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