Milano Criminale: Roman (German Edition)
bricht ein wahres Donnerwetter herein. Zuerst mit Schlagstöcken, dann, als sie schon in Embryonalstellung auf dem Boden liegen, Tritte ins Gesicht und in die Weichteile, in die Rippen und auf den Hinterkopf.
Als sie genug haben, sperren die Aufseher sie in die Arrestzellen.
»Noch nie habe ich von denen solche Prügel bezogen, bis du kamst«, beklagt sich Pinto, als sie ihn wegschleifen.
Sein Freund antwortet nicht. Die eingesteckten Schläge treffen ihn nicht, sie gehören dazu. Was einzig zählt, ist, dass diese Halbstarken und sämtliche Jungs aus dem Becca ihn nun respektieren. Sie wissen, dass er, Roberto Vandelli, niemand ist, der mit sich spaßen lässt.
5
Eine Woche später ist Vandelli komplett wiederhergestellt. An den Armen sieht man noch ein paar blaue Flecken, aber er ist nicht der Typ, der wegen Kleinigkeiten jammert. Die schlechte Nachricht ist, dass während seines Arrests die Gitterstäbe am Fenster im ersten Stock repariert wurden. Der Berliner oder der, dem er den Schwanz angesengt hat, muss ihn verpfiffen haben.
Außerdem hat es eine Untersuchung gegeben; die Wärter haben die Jungs ein bisschen ausgequetscht, um herauszufinden, wer der Urheber von all dem war, doch keiner hat einen Pieps gesagt. Als sich ihm eine andere günstige Gelegenheit präsentiert, verraucht Robertos Ärger über den verpatzten Fluchtplan.
»Immerhin sind es Kinder, bei denen eine Umerziehung noch möglich ist, nicht wahr?«
Der Klapsdoktor nickt lustlos, während ein ganz in Karos gekleideter Herr, Hemd nicht zur Hose passend, der ihnen als prominenter Bühnenautor vorgestellt wurde, dieser Handvoll Banditen erklärt, dass er eine Aufführung auf die Beine stellen will, in der sie die Hauptrollen spielen. Sie können tanzen, singen, sogar Theatersketche auf die Bühne bringen. Ein paar Jungs verkünden unter allgemeinem Gelächter, dass sie einen Ausschnitt aus der Komödie Die Monster mit Vittorio Gassmann und Ugo Tognazzi zum Besten geben wollen.
Vandelli wittert sofort seine Chance: Die Proben werden in einem Raum im Erdgeschoss der Anstalt stattfinden, wo es weder Gitter an den Fenstern noch Kontrollen gibt. Er hat sogar eine Hintertür bemerkt, die wie für seine Zwecke gemacht scheint.
Er ist einer der Ersten, der sich meldet. Ganz begeistert sogar. Der Gefängnispsychologe schüttelt den Kopf; er weiß genau, dass etwas dahintersteckt, doch man muss den Jugendlichen eine zweite Chance geben.
»Was kannst du denn?«, fragt ihn der Theatermann.
»Singen«, erwidert Vandelli. In Wirklichkeit ist er eine wahre Heulboje, aber das wird ihm keiner sagen, der nicht Prügel beziehen will.
»Gut, und was willst du singen?«
Der Junge denkt einen Moment nach, dann antwortet er: » Piccola Katy von den Pooh.«
Ein Raunen geht durch die Reihen der Gefangenen.
»Einverstanden, morgen beginnen wir mit den Proben. Wer ist der Nächste?«
Vandelli legt sich so ins Zeug, dass er fast immer den richtigen Ton trifft. Der Theatermann lobt ihn mehrmals für seine gute Stimme, während der Psychologe es nicht fassen kann, warum Roberto sich so viel Mühe gibt. Das passt gar nicht in sein Verhaltensprofil.
In Wahrheit wartet der Junge vom Giambellino tatsächlich nur auf die passende Gelegenheit. Er war schon drei oder vier Mal bei den Proben, um den Ort auszukundschaften und zu überlegen, wie er sich aus dem Staub machen kann. Jetzt steht sein Plan. In der Hose versteckt er die kleine, rudimentäre Säge, die er sich am ersten Tag gebaut hat und seitdem in dem Mauerschlitz einer Steckdose versteckt hält.
Zwischen ihm und der Freiheit liegen nur wenige Augenblicke.
Nach der x-ten Probe des Pooh-Songs nutzt er einen Moment, als im Saal allgemeines Durcheinander herrscht – es wird gesungen, getanzt, kleine Zaubertricks werden improvisiert –, und schließt sich in eine der Kammern hinter der Bühne ein. Zuvor hat er alles überprüft: Ein einziger Gitterstab verschließt die schartenartige Öffnung in der Mauer, die als Lüftung fungiert. Er schnipst mit den Fingern dagegen, und ein höhnisches Grinsen geht über sein Gesicht: Das Eisen ist hohl. Das macht Vandellis Flucht zum Kinderspiel. Im Getöse der Probe hört niemand das Knirschen der Säge auf dem Eisen, das schnell nachgibt. Er nimmt den Stab heraus und schiebt sich behände durch die Öffnung.
Einen Moment später ist er frei: Sein Aufenthalt im Becca hat nicht einmal zwei Wochen gedauert.
Eilig verduftet er, auf den Lippen das Lied von der kleinen
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