Milano Criminale: Roman (German Edition)
spindeldürr, mit einer schwarzen Mähne auf dem Kopf, die vielleicht einen Tick zu lang ist. Aber in der Politischen, seiner Abteilung, scheint das nicht weiter aufzufallen. Im Gegenteil, sollte er mal als Spitzel eingeschleust werden, könnte ihm so eine Frisur gute Dienste leisten.
»Woher weißt du das alles über den Commissario?«, fragt Antonio.
»Ich habe mir in seiner Truppe die Sporen verdient. Nicolosi stellt einen gern auf die Probe, um zu sehen, wie weit er mit dir gehen kann. Tougher Typ, messerscharf. Der lässt keinen ungeschoren. Das ist seine Art. Am Ende hasst du ihn oder du liebst ihn. Ich kenne einige, die ihre Versetzung beantragt haben, weil sie nicht mit ihm klarkamen.«
»Du auch?«
Der Mann schüttelt den Kopf.
»Nein, ich wusste, dass er aus mir einen echten Bullen macht. Unsere Wege haben sich getrennt, als ich befördert wurde und in der Politischen angefangen habe.«
»War er denn immer so?«
»Fast. Es gab etwas, das ihn endgültig hart gemacht hat. Ein paar Wochen, nachdem seine Frau ihn verlassen hatte.«
»Warst du dabei?«
»Ja, einer der letzten gemeinsamen Fälle. Ist ein paar Jahre her.«
Antonios Antennen stellen sich auf.
»Was ist passiert?«, fragt er neugierig.
Catalano zündet sich in aller Ruhe noch eine Zigarette an.
»Ich werde es dir erzählen, aber halt ja den Mund. Das ist eine der Sachen, über die der Commissario nicht reden will.«
»Jetzt hör schon auf mit der Geheimniskrämerei, Pino. Was war los?«
»Schlimme Geschichte, das in Bascapè.«
»Erzähl schon.«
Ein Tag im Oktober 1962, Nicolosi und ich näherten uns dem Ort. Es regnete in Strömen. Die Felder waren aufgeweicht, man kam im Schlamm kaum voran. Ein Flugzeug war abgestürzt, um sieben Uhr abends, auf eine Wiese in der Gegend. Es befand sich im Landeanflug auf den Flughafen Linate. Ich erinnere mich noch gut an Nicolosis entsetzten Gesichtsausdruck. So hatte ich ihn nur selten gesehen.
»Sie haben den mächtigsten Mann Italiens gekillt«, sagte er. Es war, als spräche er zu sich selbst.
»Einen Politiker?«
»Einen Ölindustriellen.«
»Aber bei uns gibt’s doch gar kein Erdöl …«
»Deswegen haben sie ihn ja umgebracht. Er hatte einen Weg gefunden, es zu besorgen.«
»Und wer?«
»Enrico Mattei.«
Da verstummte ich, denn ich begriff sofort die Tragweite der Geschichte. Und nicht nur ich: Innerhalb kürzester Zeit wimmelte es nur so von Leuten. Die Nachricht, dass die Nummer eins des Energieunternehmens ENI in einer Morane-Saulnier abgestürzt war, hatte sich bereits in sämtlichen Zeitungsredaktionen herumgesprochen.
Obwohl es wie ein Unfall aussah, gab es von Anfang an Zweifel. Manche behaupteten, es habe vor dem Absturz im Flugzeug eine Explosion gegeben.
Der Commissario lehnte sämtliche angebotenen Regenschirme ab und wurde nass bis auf die Knochen, während er jede Einzelheit an der Absturzstelle in Augenschein nahm. Überall lagen Trümmer. Zerfetzte Leichenteile von den drei Passagieren: Mattei, dem Piloten und einem amerikanischen Journalisten.
Drum herum lauter Mitarbeiter des Energieriesen SNAM , die als Erste herbeigeeilt waren. Auch Uniformierte von ENI waren da. Und eine Menge Schaulustiger bei einem Bauernhof von Bascapè, wo das Flugzeug ein Loch in den matschigen Erdboden gerissen hatte.
Auch ein paar komische Typen in Zivil waren da, die Fragen stellten. Zweifellos vom Geheimdienst. Und dann natürlich die Reporter.
Ich erinnere mich an diesen Basile, den der Chefredakteur von ›La Notte‹ geschickt hatte. Die Zeile, die mir von den Reportagen damals am lebhaftesten in Erinnerung ist, stammte von ihm: »War wirklich der Zufall schuld am Tod dieses Mannes, der vorurteilslos Kontakte zu den erdölfördernden Ländern Arabiens knüpfte und das Monopol der großen amerikanischen Firmen zu unterlaufen versuchte?«
In diesen Worten lag der Schlüssel zu dem Geheimnis. Alle wussten das. Und deshalb, glaube ich, wurde die Sache auch augenblicklich vertuscht.
Wir blieben nicht länger als eine Viertelstunde vor Ort. Es war nicht unser Zuständigkeitsbereich, sondern der von den Kollegen aus Pavia.
Am nächsten Morgen kam General Ercole Savi nach Bascapè. Er war der Leiter der parlamentarischen Untersuchungskommission, die Andreotti eingesetzt hatte.
Es dauerte vier Tage, bis alle Flugzeugtrümmer aus dem Schlamm geborgen waren, und als es so weit war, wurden sie in den Hangar der Luftwaffe in Linate gebracht. Dort wurden sie gesäubert. Was den
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