Milano Criminale: Roman (German Edition)
Tasche, lautet die Anklage nicht mehr auf Diebstahl, sondern auf Raub, und wenn du Pech hast, bekommst du zehn Jahre dafür.
Zum Glück haben die zwei Carabinieri ihm geglaubt, dass er keine hat: Er hat sie im Keller seines Wohnhauses versteckt. Und von der Luger hat er selbst keinen Schimmer, wo sie gelandet ist.
Untätig herumsitzen bringt nichts, sagt er sich, und da er nicht zu Selbstmitleid neigt, geht er lieber ans Werk. Aus der Werkstatt verschafft er sich eine kleine Säge, und mit Hilfe eines eisernen Kleiderhakens aus dem Spind im Erdgeschoss, wo tagsüber die Externen durchgehen, bastelt er sich eine kleine Bügelsäge. Er kann das Gerät in seiner Hose verstecken, muss nur aufpassen, dass es ihm nicht in den Oberschenkel schneidet.
Der Plan, den er im Kopf hat, sieht vor, die Gitter an einem Fenster im ersten Stock durchzusägen. Bei einer Ortsbegehung findet er das passende Objekt: ein kleines und etwas abgelegenes Fenster, das direkt auf die Straße geht, ideal zum Ausbrechen. Auf der Straße herrscht tagsüber reges Treiben – Busse, Passanten und ein paar Läden –, es dürfte also nicht schwer sein, sich unter die Leute zu mischen.
Das einzige Problem ist die Höhe. Ein paar Meter werden es grob geschätzt schon sein, die er hinunterspringen muss, doch das stellt für Vandelli keine Schwierigkeit dar. Er ist es gewohnt, wie eine Katze die Mauern der reichen Villen zu überwinden, die er ausräumt.
Nachdem er sichergestellt hat, dass kein Aufseher in der Nähe ist, macht er sich an die Arbeit.
Zunächst sägt er das dicke Drahtgeflecht durch, das die Jungs daran hindern soll, Gegenstände hinunterzuwerfen, dann beginnt er mit der Klinge die Gitterstäbe zu bearbeiten. Das ist Schwerstarbeit, die viele Tage dauern kann, doch Zeit ist ja das Letzte, woran es an diesem Ort mangelt.
Um am Ende des Tages die Kerbe in den Stäben zu verbergen, hat er einen einfachen Trick ersonnen: Sie liegt außerhalb des Drahtgitters – das er jeden Tag sorgfältig wieder an seinen Platz setzt – und fällt so bei einer Kontrolle gar nicht auf. Um das Gitter zu befestigen, verwendet er eingespeichelte Brotkrumen, die er mit Rost braun färbt.
»Du gibst wohl niemals auf, stimmt’s?«, fragt Pinto, als er das Werk bewundern darf.
»Niemals«, bestätigt Vandelli.
4
Im Knast und in der Besserungsanstalt sind sich Insassen und Wärter zumindest in einer Frage einig: Für einen Homosexuellen ist der Aufenthalt hier ein Geschenk des Himmels, ein wahres Schlaraffenland, und da wäre doch der schön dumm, der die Gelegenheit nicht beim Schopf ergreift.
Das denken wahrscheinlich auch die fünf Halbstarken, die sich gerade im Schlafsaal um einen frisch eingetroffenen Neuzugang scharen. Ein bartloses Milchgesicht, so um die fünfzehn, die Züge noch unfertig und die Haare so lang, dass er fast wie ein Mädchen aussieht.
»Haben wir hier etwa einen süßen Wärmling, oder was?«, zieht ihn einer auf.
Er schüttelt ängstlich den Kopf. Er ist hier, weil er gerne Autos klaut und mit ihnen Wettrennen fährt wie die Profis in Monza. Schade nur, dass er nicht abgebrüht genug ist, um sich den nötigen Respekt zu verschaffen.
Pinto muss Roberto am Anstaltskragen zurückhalten.
»Ich wiederhole mich nur ungern, aber das ist nicht unser Bier.«
Vandelli entwindet sich.
»Deins vielleicht nicht. Meins schon.«
Die Halbstarken ziehen den Grünschnabel in eine Ecke des Saals, lassen die Hosen herunter und befehlen ihm, ihnen die Schwänze zu lutschen, einem nach dem anderen. Sie brüllen und lachen schallend.
»Das magst du doch, oder? Scheißpupe!«
»Los, hier geht’s weiter!«
»Mach gefälligst das Maul auf, oder soll ich dir alle Zähne raushauen, damit du mir ordentlich einen bläst?«
Einer zieht sogar ein Pornoheft hervor und befiehlt ihm, das Gleiche zu tun wie die Nutte auf dem Foto.
Das geht auch Pinto über die Hutschnur. Er und Vandelli tauschen einen einvernehmlichen Blick. Die Gegner sind zu fünft, doch das Überraschungsmoment und die heruntergelassenen Hosen sind auf ihrer Seite. Anstelle ihrer Hände nutzen die zwei Giambellinos jeder einen Hocker als Knüppel. Nach drei Minuten liegen die fünf mit blutenden Köpfen am Boden; einem ist ein Zigarettenstummel auf den Schwanz gefallen und ein leichter Geruch nach Brathähnchen wabert durch die Luft.
Natürlich bleibt die Prügelei nicht unbeachtet, und der Zusammenstoß mit dem Wachpersonal verläuft weniger glorreich. Über Vandelli und Pinto
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