Milano Criminale: Roman (German Edition)
mit seinem dicken Finger auf das Blatt. »Sie fahren abwechselnd mal die eine und mal die andere. Rot ist die Mittwochstrecke, blau die vom Freitag. Ich habe den Transporter wochenlang beobachtet, und er ist kein einziges Mal von der Tour abgewichen. Er fährt immer denselben Weg mit immer denselben Zwischenstopps. Für die komplette Strecke braucht er etwa drei Stunden.«
Vandelli nickt und wendet sich an Romolino.
»Die Wagen?«
»Eine Giulia, ein Mercedes 250 und ein Fiat 600. Allesamt in den letzten Tagen geknackt und abgedeckt in der Autowerkstatt bei einem Freund in Baggio untergestellt. Ich habe ihre Motoren gecheckt, die Nummernschilder durch den gewohnten Mischmasch ersetzt, und vollgetankt sind sie auch.«
»Gut. Mit den Knarren wären wir auch so weit bereit, ich habe sie besorgt und sicher gelagert. Vito wird sie vor dem Ding abholen. Noch Fragen?«
»Hast du schon entschieden, wo?«, fragt Pietra.
»Ja, und ich habe mir den Ort schon mehrmals angesehen.«
Der Bandit zeigt auf einen Punkt auf der Karte.
»Die Via Gulli. Hier passieren beide Touren. Wir werden den Wagen stoppen, nachdem er gerade das Geld in der Filiale auf der Piazza Siena eingesammelt hat. Was macht ihr denn plötzlich für Gesichter? Was ist los?«
Die beiden Comasina-Jungs schauen verlegen weg; selbst Esposito wirkt überrascht.
»Ist das ein Zufall, dass du ausgerechnet die Straße ganz nah bei der Via Osoppo ausgesucht hast?«, fragt Romolino schließlich zögernd. »Möchtest du die Nummer von damals wiederholen?«
Vandelli gibt sich ungerührt. Er überlässt nie etwas dem Zufall, das wissen seine Leute genau. Genüsslich zieht er an seiner Muratti und erwidert: »Unser Coup wird besser, denn wir müssen nur durch vier teilen.«
Niemand hat den Mut, ihn darauf hinzuweisen, dass die sieben Goldjungs von damals allesamt gefasst wurden und dass ihre Frage damit nicht beantwortet ist.
Nach einer Weile bricht Esposito das Schweigen zwischen ihnen.
»Und wann soll’s losgehen?«
»Morgen. Heute Abend geht ihr früh schlafen. Nüchtern. Und keine Nutten. Dafür habt ihr anschließend Zeit genug.«
Während sie sich erheben, ertönt aus dem kleinen Radio auf der Kasse die Melodie des Liedes Noi non ci saremo von den Nomadi.
Esposito dreht sich bei dem Refrain Doch wir werden nicht mehr da sein unwillkürlich zu Vandelli um. Sein Boss aber hat wieder die Sonnenbrille auf der Nase und beachtet ihn nicht. Alle wissen, dass er nicht an böse Omen glaubt.
12
»Es gibt so elend verfluchte Tage, deren bloße Erwähnung wieder alte Wunden aufreißt.«
So eröffnet Antonio Santi üblicherweise seine Erzählung von jenem Tag.
Es ist ein warmer Septembernachmittag, auf den Straßen der Großstadt riecht es noch nach Sommer, die Frauen tragen leichte Kleider und die Männer haben die Hemdsärmel hochgekrempelt, während die Sonne scharfe Häuserschatten aufs Pflaster wirft.
Der griesgrämige Blick des Commissario schweift durch das Fenster in die Ferne. Er ist ein wahrer Starrkopf. Es ist einige Zeit vergangen, und doch gibt er nicht auf. Die Bande der Piemonteser hat sich nach dem Toten in Cirié erst einmal verkrümelt, doch Nicolosi erwartet sie an den Toren der Stadt.
»Alles, was wir brauchen, ist Zeit«, lautet sein Mantra. Niemand kann sagen, wie viel. Doch er ist sich sicher, irgendwann kehren sie nach Mailand zurück, darauf würde er seine Dienstmarke verwetten.
Hinweise gibt es im Übrigen zuhauf. Eine Reihe von Einbrüchen rund um die Stadt, in konzentrischen Kreisen, manchmal ganz nah, aber nie nah genug. Immer dieselben Umstände: das Flugblatt, die proletarische Enteignung, das geklaute Auto, mit dem sie in Richtung Zentrum verschwinden. Dasselbe Drehbuch im fröhlichen Reigen zwischen Frühling und Sommer. Bis zu diesem Tag.
Es ist der 25. September des Jahres 1967, halb drei am Nachmittag. Ein Wagen hält auf dem Largo Zandonai, vor der Filiale der Banco di Napoli. Sie sind da, zurück in Mailand, wie von Nicolosi prophezeit.
Liuzzi bleibt bei laufendem Motor im Wagen, während die Genossen aussteigen und den Wachmann vor der Bank unschädlich machen. Eine Minute später sind sie drinnen: Maschinenpistole und Revolver zielen auf Personal und Kunden. Reine Routine, gäbe es da nicht diesen Angestellten, der Zeit findet, den Alarmknopf zu drücken. Kurz darauf bricht die Hölle los. Denn als die Banditen das Bargeld einpacken wollen, jaulen draußen die anschwellenden Martinshörner der ersten Polizeiwagen
Weitere Kostenlose Bücher