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Milano Criminale: Roman (German Edition)

Milano Criminale: Roman (German Edition)

Titel: Milano Criminale: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Roversi
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werden sie von einem Heer Fotografen erwartet. Die Nachricht von Liuzzis Festnahme hat sich in den Redaktionen schnell herumgesprochen.
    Der Junge in Handschellen lächelt in die blitzenden Kameras und grüßt winkend durch das Fenster der Giulia.
    »Die Frechheit wird ihm schon noch vergehen«, murmelt Mollica. »Wenn der erst mal in der Zwei angekommen ist, mit seinem süßen Bubigesicht …«
    Santi nickt, ist aber in Gedanken woanders. Genau wie Nicolosi macht er sich Sorgen: Wenn sie Cavalieri nicht schnappen, war alles umsonst. Er und Negri sind in der Lage, innerhalb einer Woche eine neue Truppe auf die Beine zu stellen. Und das darf auf keinen Fall geschehen. Nicht nach den Toten und den verfluchten Ereignissen von heute, die er, da ist er sich sicher, sein Lebtag nicht vergessen wird.
    15
    Am Abend dieses Tages weint Carla. Sie bringt kein Wort heraus, die Tränen kullern unaufhörlich über ihre Wangen, während Antonio sie fest in den Armen hält.
    In den Radionachrichten hat sie mitverfolgt, was passiert ist: den Überfall, die Verfolgungsjagd, die Schüsse, die Toten. Als sie seinen Arm in der Schlinge sah, wäre ihr fast übel geworden.
    Am liebsten würde sie die Welt ausschließen und ihren Mann nie wieder weglassen. Diesmal hilft es auch nicht, eine Schallplatte anzuhören, wie sie es sonst immer tut, wenn sie schlechte Laune hat. Dieser Moment verlangt nach Stille.
    »Sie hätten dich umbringen können«, seufzt sie. Und das ist weniger ein Vorwurf als eine Klage.
    Sie blickt ihm flehend in die Augen.
    ›Warum?‹, möchte sie ihn fragen. ›Warum hörst du nicht auf?‹
    Antonio hält sie fest umarmt. Sein Arm schmerzt dabei, doch sie muss ihn nun spüren. Muss spüren, dass er lebt.
    Nach einer Weile macht die junge Frau sich frei.
    »Du bist doch bald wieder gesund, oder?«, fragt sie. Sie versucht, sich Mut zu machen. Nach vorn zu blicken.
    Er lächelt. Er weiß, was sie meint. Seit Monaten überlegen und planen sie hin und her, damit es ein perfekter Tag wird: Nur der Termin fehlt noch. Sie werden ihn bald festlegen, sobald die Sache mit diesen Verbrecherbanden überstanden ist. Sie mussten ihn schon mehrmals verschieben: Das soll nicht noch einmal passieren.
    »Wenn nötig, trete ich auch mit einer Kugel im Arm vor den Traualtar«, erwidert er.
    »Schwöre es.«
    »Ich schwöre es, und nun beruhige dich. Geschichte ist die Wissenschaft der Dinge, die sich nicht wiederholen.«
    Sie lächelt, hat das Valéry-Zitat erkannt, doch die Tränen laufen ihr immer weiter über die Wangen.
    Antonio umarmt sie noch fester, kann sich aber nicht wirklich auf die Hochzeit konzentrieren. Sein einziger Gedanke gilt Cavalieri. Dem Mann, der auf ihn geschossen hat. Er wird keine Ruhe geben, bis er nicht im Bau sitzt, und wenn er ihn eigenhändig dort abholen muss, wo alles angefangen hat: in der Barriera.
    Doch so weit muss er gar nicht gehen. Im Gegenteil, Commissario Nicolosi und Santi sind selbst überrascht, als zwei Tage später ihre Kollegen vom Militär diejenigen sind, die die Gesuchten festnehmen. Damit ist die quälende Jagd vorbei, doch es bleibt der Makel, dass nicht sie es waren, die den Flüchtigen die Handschellen angelegt haben. Und auch die banalen Umstände der Festnahme missfallen ihnen sehr: Was der bewaffnete Arm des Gesetzes nicht vermochte, das gelang am Ende dem Hunger. Die Rekonstruktion der Fakten lässt jedenfalls keinen Zweifel: Nachdem sie aus dem von der Polizei gerammten Auto geflohen waren, retteten sich Cavalieri und Negri, indem sie auf eine Straßenbahn sprangen und zum Bahnhof Porta Genova fuhren. Von hier nahmen sie den ersten Zug nach Mortara und von da aus einen weiteren Richtung Alessandria. In Valenza Po stiegen sie aus und verschwanden in den nebligen Landschaften des Pos, um ihre Spuren zu verwischen. Mit Erfolg. Trotz der Verfolgungsjagd auf Leben und Tod fanden sie in einem ehemaligen Bahnwärterhäuschen in Villabella Unterschlupf, wo niemand sie suchte. Hier wollten sie sich von der aufreibenden Flucht erholen.
    Nach zwei Tagen allerdings gewann der Hunger die Überhand, und Aimo Negri wagte sich hinaus, um Nahrungsmittel zu besorgen. Nicht weit entfernt gab es einen kleinen Laden. Die Verkäuferin versorgte den Mann mit allem Nötigen – Wurst, Brot und Zigaretten –, verständigte aber, nachdem sie sein Gesicht in der Zeitung wiedererkannt hatte, gleich darauf die örtlichen Carabinieri.
    »Von da an war es ein Selbstläufer«, sagte Nicolosi, als er den

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