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Milano Criminale: Roman (German Edition)

Milano Criminale: Roman (German Edition)

Titel: Milano Criminale: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Roversi
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ist, doch er hat keine Beweise. Am Tag nach dem Mord prangten Vandellis Fotos auf den Seiten von ›La Notte‹. Strahlend, im Kreise von Verbrechern und Nutten. Unantastbar.
    »Du bist dumm«, erwidert seine Frau.
    »Nein, Carla, es ist so. Ihr Frauen könnt in unserm Innern lesen, das weißt du. Wir sind geliefert. Wir dürfen uns nicht in die Sache hineinziehen lassen, und was nun passiert ist, haben wir vorher nicht bedacht. Wir haben die Frauen nicht bedacht, die Gefühle, den Faktor Mensch.«
    Sie bricht in lautes Gelächter aus, während seine Miene versteinert.
    »Die üblichen, hirnlosen Fascho-Soldaten«, erwidert sie hart, als sie wieder bei Atem ist. »Das reißt euch immer wieder rein! Ihr denkt an alles, außer an das Normalste von der Welt: Gefühle, Liebe, Romantik …«
    »Quatsch!«
    »Antonio, lass dir eines gesagt sein: Von Romantik hast du nicht die geringste Ahnung. Mir hast du den Heiratsantrag in einer U-Bahn gemacht! Das muss man sich mal vorstellen! Aber so bist du nun mal, und auch dafür liebe ich dich.«
    Der Ausdruck in seinem Gesicht wird weicher. »Die Liebe besteht letztlich doch darin, gemeinsam dumm zu sein«, flüstert er.
    »Was für ein schöner Satz!«
    »Ist nicht von mir.«
    »Ich weiß, Liebling. Diese Jugendgedichte auswendig zu lernen hat dir jedenfalls gutgetan! Es hat dich sensibler gemacht, als du sonst wärst. Und jetzt komm her.«
    »Gleich.«
    Es ist heillos spät, das weiß der Polizist, doch dieses Telefonat erlaubt keinen Aufschub.
    Der Tonfall, mit dem am anderen Ende der Leitung geantwortet wird, ist unmissverständlich.
    » A chi t’è muerte e stra muerte! Wer zum Teufel ist da?«
    »Cimmino, ich bin’s, Santi. Entschuldige den späten Anruf.«
    »Bist du angeschossen? Hat es Martinez erwischt? Das hoffe ich zumindest für euch, denn sonst …«
    »Nein.«
    »Dann kannst du mich mal kreuzweise. Was zum Teufel fällt dir ein, mich …«
    »Wir sind enttarnt«, unterbricht der Sovrintendente ihn. »Wir können nicht weitermachen. Wir sind gefährdet.«
    Der Vorgesetzte schweigt, während Santi ihm von der Rothaarigen erzählt.
    »Ah, die Frauen! Una ce ne steva bona, e ’a facettero Maronna «, kommentiert er am Ende.
    »Wie bitte?«
    »Ach nichts, guagliò . Morgen will ich euch beide im Präsidium sehen. Das Spiel ist vorbei. Zurück ins Glied. Und sag deinem Kumpel schon mal, dass ich ihn von jetzt an in die erste Reihe stellen werde, damit er sich ein paar verdiente Schläge auf seinen Querkopf einfängt, verstanden?«
    Antonio legt auf. Es ist vorbei, das schmutzige Geschäft des Bespitzelns ist zu Ende. Eigentlich müsste er erleichtert sein, doch er ist es nicht und kann sich nicht erklären, warum.
    5
    Nebelschwaden lassen die Konturen der Dinge verschwinden, von Häusern, Autos, Trambahnen. Von einfach allem. Sogar die der Menschen, ihre Gesichter verschwimmen im Tränengas der Polizei, aber es ist unübersehbar, dass Sachen brennen: die Karosserien von Autos.
    Santi hält sich schützend ein Taschentuch vor den Mund. Seit drei Tagen rasiert er sich wieder und trägt Uniform. Er ist auf die Straße zurückgekehrt, nach zwei Monaten als Spitzel oder Quasispitzel. Er und Nicolò sitzen zusammengedrängt mit zehn Kollegen in einem Mannschaftswagen.
    »Da wären wir«, verkündet der kommandierende Vizekommissar. »Die Studenten haben das ehemalige Handelshotel auf der Piazza Fontana besetzt und es in ›Arbeiter- und Studentenhaus‹ umbenannt. Wir müssen räumen!«
    Nach einer scharfen Bremsung springen die Soldaten aus dem Wagen, während sie sich mit Helm, Schild und Schlagstock bewaffnen. Bereit zum Gefecht. Santi und Martinez tauschen einen einvernehmlichen Blick. Sie brauchen keine Worte. Sie haben die Seite umgeblättert, es geht weiter. Es konnte nicht ewig so bleiben.
    Polizist sein bedeutet eben auch, seine Zunge im Zaum zu halten und geschickt den Schlagstock zu führen. Antonio hat sich immer viel geprügelt im Leben. Mit den Jungs von der Piazza Brescia herrschte offener Krieg, und auch in den Jugendzentren mit den Älteren war nicht immer alles eitel Sonnenschein. Die Diplomatie der Ohrfeige war die, die in seinem Viertel am besten funktionierte.
    Nun musste er den Mund halten, während er bespuckt und mit allen möglichen Sachen beworfen wurde. Sich mit Schild und Helm schützen und alles einstecken. Den Befehl zum Einsatz abwarten.
    ›In solchen Momenten werden Menschen zu Tieren‹, denkt er. Eine Stunde lang steckt man ein und kann

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