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Milano Criminale: Roman (German Edition)

Milano Criminale: Roman (German Edition)

Titel: Milano Criminale: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Roversi
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gezwungen werdet, eure Heimatdörfer zu verlassen, um einer Regierung zu dienen, die euch hungern lässt, die ihr hier vor diesem Luxustempel stehen müsst, im Regen, um eine Handvoll schmuckbehängte Dirnen zu beschützen!«
    Es ist schwer zu erkennen, ob es der Regen ist, der nun die Augen und Wangen vieler wartender Polizisten nässt.
    In den vorangegangenen Tagen hatte der Bürgermeister um Respekt und Zurückhaltung gebeten, um die Trauer von Avola nicht zu stören. Man hatte nicht auf ihn gehört: Die Studentenbewegung hatte die Trauerruhe verletzt. Kaum hat Castelli geendet, fliegt einer dicken Matrone mit Diamanten und Pelzmantel ein Ei an den Kopf. Eine klebrige Eiweißpampe ergießt sich über ihre Hochfrisur, und sie schreit hysterisch. Nun folgt ein Hagel aus Eiern, Farbbeuteln und Gemüse, der Smokings und Pelze der Mailänder feinen Gesellschaft beschmutzt.
    Santi kann sich ein Auflachen nicht verkneifen, und auch Martinez scheint sich wieder zu entspannen.
    Selbst Cimmino, dessen Miene nichts anzumerken ist, genießt insgeheim das Spektakel. Er wartet, bis die Munition der Studenten verbraucht ist – maximal zwei Minuten –, ohne ein Eingreifen anzuordnen. Zu sehen, wie die feinen Herrschaften mit Eiern und roter Farbe bombardiert werden, tut irgendwie allen gut. Kleiner Racheakt, bevor er zur Tagesordnung übergeht. Denn tatsächlich erwartet Castelli am Ende des Tages eine Anklage wegen Volksverhetzung und Anstiftung zum Aufruhr.
    7
    Als er die Wohnung betritt, steigt ihm sofort der Duft von Hackfleischsoße in die Nase. Intensiv und lecker. Augenblicklich beginnt Santis Magen zu knurren. Er zieht die Uniform aus und geht zu seiner Frau ins Wohnzimmer. Auf dem Plattenspieler dreht sich eine Scheibe von Caterina Caselli, wie immer in letzter Zeit. In der Küche stehen zwei Gläser und eine eisgekühlte Flasche Sekt.
    »Was ist los?«, fragt Antonio im Hereinkommen.
    Carla strahlt.
    »Es gibt etwas zu feiern!«
    Damit entkorkt sie die Flasche und gießt den Schaumwein in die Gläser.
    »Manchmal schafft es dieser Faschistenstaat doch noch, mich zu überraschen! Von heute an sind Männer und Frauen vor dem Gesetz ein Stück gleicher!«
    »Ach ja?«
    »Hast du keine Zeitung gelesen?«
    »Bin nicht dazu gekommen«, versucht er sich zu rechtfertigen und muss an den Einsatz heute Nachmittag gegen eine Gruppe von Studenten denken, die ein Gebäude auf dem Largo Augusto besetzt hatten. Im Eifer des Gefechts hatte er sogar auf jemanden eingeschlagen, den er noch aus seinen Spitzelzeiten in der Bewegung zu kennen glaubte.
    Die Frau hält ihm die Titelseite der ›Unità‹ vor die Nase. Und während er an seinem Sekt nippt, liest der Polizist, dass der Gerichtshof in zweiter Instanz beschlossen hat, dass der Ehebruch der Frau nicht mehr als Verbrechen gilt. Außerdem steht es der Frau im Falle einer erwiesenen Untreue des Gatten frei, sich von ihm scheiden zu lassen.
    »Willst du mich etwa loswerden?«
    »Ach komm, Dummkopf«, sagt sie lachend. »Hör lieber auf den Liedtext, den hat ein sehr begabter Musiker aus Asti geschrieben, Paolo Conte. Er handelt eben von einer Trennung und ist trotzdem hochpoetisch.«
    Sie stellt das Glas auf den Tisch und fängt unter rhythmischen Kopfbewegungen an, das Lied der Caselli mitzusingen: »Insieme a te non ci sto più, guardo le nuvole lassù …«
    Antonio lächelt und umarmt seine Frau, während sie aus vollem Halse den Refrain mitsingt.
    E quando andrò
    devi sorridermi se puoi,
    non sarà facile ma sai
    si muore un po’ per poter vivere.
    Arrivederci amore ciao.
    Zum Schluss winkt Carla mit der Hand.
    »Also, so dargeboten klingt das ja ziemlich verlockend«, lacht er und drückt sie an sich.
    Sie küssen sich.
    Das Ragù muss warten, denn noch bevor sie zu Abend essen können, landen sie splitterfasernackt im Schlafzimmer.
    8
    Die Versilia ist nicht das, was Vandelli sich vorgestellt hat. Im Fernsehen sieht man das ganze Jahr über wunderschöne Frauen, Champagner und Sonne. Dabei ist es im Winter trist hier, schlimmer noch als der Wasserflughafen. Die Rollläden der Geschäfte sind heruntergelassen, Dreck und Algen, kein einziger Sonnenschirm weit und breit. Bleierner Himmel, so dass man sich am liebsten volllaufen lassen würde.
    »Was zum Teufel tun wir hier«, brummt Pietra. »Das sieht ja aus wie der Friedhof von Lambrate.«
    Sie sind zu viert: sie beide, Nina und Angie. Pinto hat eine Frau am Haken, während Romolino das Silvesteressen mit der Familie

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