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Milano Criminale: Roman (German Edition)

Milano Criminale: Roman (German Edition)

Titel: Milano Criminale: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Roversi
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schon lange nicht mehr erlebt hat.
    ›Zum Glück ist unser Auftrag bald erfüllt‹, denkt er, während er bibbernd ein Lokal betritt. ›An Weihnachten ist alles vorbei.‹
    Martinez wartet schon auf ihn. Mit brennender Zigarette, vor sich ein leeres Glas. Santi zieht den Parka aus und bestellt noch einmal das Gleiche für beide. Dienst oder nicht Dienst, egal.
    »Das gehört schließlich zur Tarnung, oder?«
    Der Kollege nickt mit ernster Miene. Diesen Witz bringen sie immer – ein Versuch, ein wenig die Anspannung zu lockern, die sie fast ununterbrochen begleitet. Sie klammern sich an den Tresen des Rattazzo, einer Bar in der Via Vetere, die auf den Park von der Piazza Vetra hinausgeht; ein beliebter Treffpunkt der Studentenbewegung, der sogar von den Kollegen der Politischen überwacht wird. Fotoapparate zu Hause gelassen und Ohren gespitzt.
    Nach zehnminütigem Schweigen löst der Alkohol dem Jüngeren der beiden die Zunge.
    »Soll ich dir was sagen, Antonio? Ich mag diesen Auftrag. Wirklich. Ich meine, ist doch besser, bei den Studenten zu sein und zu trinken und zu singen, als sich Mollis an den Kopf werfen zu lassen, oder? Das Bier fließt, keine Uniformpflicht, und dann die vielen Mädchen …«
    »Klar, die Mädchen. Gestern habe ich dich mit der Rothaarigen gesehen. Wie war’s denn?«
    Martinez zuckt mit den Schultern, doch seine Lippen umspielt ein zufriedenes Lächeln.
    »Du hast doch nicht etwa eine Dummheit gemacht, oder? Nicolò, sieh mich an.«
    Der junge Mann schaut ihn an und kann sich ein Lachen nicht verkneifen.
    »Komm schon, Antonio! Was hätte ich tun sollen? Du hast sie doch selbst gesehen, was für ein Feger …«
    »Du Armleuchter! Die lynchen uns, wenn wir entdeckt werden.«
    »Ich weiß. Aber der Befehl lautete doch, mit ihnen zu verschmelzen, oder?«, lacht er angesichts der frivolen Doppeldeutigkeit. Und fügt hinzu: »Dann verdächtigen sie uns wenigstens nicht.«
    »Quatsch!«, faucht Santi.
    Bevor Martinez antworten kann, kommt eine Gruppe Studenten herein, die ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Unter ihnen ist auch Landi, Castellis rechter Arm, der in seiner Abwesenheit die Entscheidungen trifft.
    »Wir sprechen später weiter«, beendet der Sovrintendente die Unterhaltung.
    Die Neuankömmlinge treten an ihren Tisch. Allgemeines Schulterklopfen, eine weitere Runde wird bestellt, sie sind eingeladen.
    »So übel ist die Revolution doch gar nicht, findest du nicht, Antonio?«, flüstert Martinez ihm grinsend zu.
    Er senkt den Kopf. So können sie nicht weitermachen.
    An diesem Abend kommt Santi besonders spät nach Hause. Betrunken und mit wankenden Schritten. Er ist zu Fuß von den Säulen vor der Basilika San Lorenzo bis zum Arco della Pace gelaufen. Er nimmt nie das Auto, wenn er sich mit den Studenten trifft. Was für ein Revolutionär wäre das, der mit Parka im Cabrio herumfährt?
    Trotz der unchristlichen Uhrzeit ist Carla noch wach und wartet auf ihn.
    »Schön, so ein Spitzelleben, was?«
    Sie liegt unter ihrer Decke im Bett. Der Tonfall, mit dem sie ihn begrüßt, genügt, damit Antonio auf einen Schlag – d’emblée , wie seine intellektuellen Freunde sagen würden – nüchtern ist. Seine Frau trägt eine Schlafhaube. Die Nachttischlampe brennt, und sie hält ein Buch in den Händen. Antonio schaut auf den Titel und fragt sich, warum sie wieder und wieder zu diesem Text greifen muss: Sie hat ihn doch bestimmt schon zehnmal gelesen. Es ist der Brief an eine Lehrerin von Don Milani, verfasst von den Schülern der Barbiana-Schule, die das Schulsystem mit den von ihm propagierten Lehrmethoden anprangern, das ihrer Meinung nach die Bildung der wohlhabenden Schichten bevorzugt und die Armen zurücklässt und dabei vergisst, dass alle das Recht auf ein qualitativ hochwertiges öffentliches Bildungssystem haben. Auch er und die Leute aus der Bewegung haben es gelesen und in unzähligen Versammlungen darüber diskutiert: Mittlerweile hasst er diese Reden.
    »Wir sind entdeckt«, sagt er und lässt sich aufs Bett fallen.
    Seine Frau macht eine erschrockene Miene.
    »Bist du in Ordnung?«
    Er nickt.
    »Was war denn los?«
    »Nicolò hat wegen einer Studentin den Kopf verloren. Das geht nicht gut aus. Wenn du erst die Hosen runterlässt, erzählst du der Frau am Ende alles.«
    Und während er das sagt, fällt ihm Prestiné ein, der wie ein Hund vor seiner Backstube abgeschlachtet wurde. Selbst dem Arschloch Piazza, der die Ermittlungen leitet, ist sonnenklar, was da passiert

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