Milas Lied
Da stand ein Pärchen wie bestellt in einer sehr weißen Küche, lehnte an einem sehr weißen Schrank und knutschte. Er fuhr ihr mit der Hand unter das Shirt und sie zog es sich über den Kopf. Sie trug kein B-Hächen.
Ich fragte mich, ob an diesem Freitag eigentlich alle glücklich waren außer mir.
»Rike?«
Ich hatte Theo nicht hereinkommen hören. Ich sah zur Tür. Das Licht aus dem Flur blendete mich.
»Was?«
»Hab’s mir überlegt.«
»Was?«
»Lass uns Nina besuchen gehen.«
»Mila.«
»War’n Witz.«
»Haha.«
Theo rührte sich nicht vom Fleck.
»Hast du den Müll runtergebracht?«, fragte ich und Theo nickte.
»Frieden?«, fragte er.
Frieden.
An diesem Abend hätte ich Theo mit geschlossenen Augen gefunden. Eine Überdosis Urwald klebte mir in der Nas e – erst im Treppenhaus, dann in der S-Bahn, dann in der U-Bahn, dann in der Katze . Theo würdigte den Laden und die Leute, die da saßen, keines Blickes und ging direkt zur Bar. Ich war mir nicht sicher, ob er öfter dort war, aber wahrscheinlich schon. Die Katze war klein und dunkel, ein verwinkeltes, schäbiges Gehäuse, und an den unverputzten Wänden hingen nackte Glühbirnen, die schwarz angemalt waren. Sonst nichts. Vermutlich sollten die Wände nicht von den Leuten ablenken. Die saßen im Schummerlicht um kleine niedrige Tische gedrängt, sahen alle sehr schön aus und sehr in Gespräche vertieft. In meinen Ohren verschwamm alles zu einem Brei aus Geräuschen. Ich sah kurz zu Theo, der die schwarzen Augen der Frau hinter der Bar gerade zum Leuchten gebracht hatte. Was Evi wohl dazu sagen würde? Strahlend stellte das Mädchen Theo ein großes Bier auf den Tresen und zapfte ein zweites. Meins.
Vor mir lag ein schmaler Gang hinter einem Vorhang, der zur Seite geschlagen war. Am anderen Ende schimmerte ein dunkelrotes Licht. Dieser Gang schien ins Herz der Katze zu führen. Dort würde ich Mila finden, das wusste ich. Und dann spürte ich auch schon den Klang einer tiefen Gitarrensaite in meinem Bauch.
In diesem Moment drückte mir Theo ein kaltes Glas in die Hand, ich sagte Danke und tappte ihm hinterher ins Herz der Katze . Theos Geruch passte nicht zu diesem Ort.
Am Ende des Gangs sah ich erst den Hals einer Gitarre und dann ein blondes Mädchen mit einer riesigen weißen Fellmütze auf dem Kopf. Sie trug einen beigefarbenen Seidenblazer und der Pony fiel ihr über die Augen, sodass von ihrem Gesicht kaum etwas zu erkennen war außer den schmalen, dunkelroten Lippen, die sich hin und wieder zu einem Lächeln verzogen. Vielleicht verzogen sie sich auch vor Schmerz beim Griff in die feineren Stahlsaiten, ich konnte das nicht deuten. Mit Sicherheit wusste ich nur, dass dieses Mädchen nicht Mila war und dass Mila auch sonst nirgendwo in dieser Kneipe war.
Theo schaute mich fragend an, aber ich schüttelte nur den Kopf. Dann wanderte mein Blick wieder zu dieser gigantischen Fellmütze, deren flauschige Spitzen sich im Licht des Scheinwerfers rhythmisch wiegten. Ich spürte, wie Theo mir einen sanften Schubs versetzte und mich weiterschob. Wir suchten uns ein freies Plätzchen, stellten unsere Gläser ab und zogen unsere Jacken aus, was mir gefiel, denn es bedeutete, dass wir gemeinsam auf Mila warten würde n – oder zumindest, bis Theo sein Bier ausgetrunken hatte.
Das Mädchen mit der Fellmütze zupfte unermüdlich eine eher expressionistische Melodie und es machte Spaß, ihr dabei zuzusehen. Ihr ausgeprägtes Minenspiel verriet, dass zumindest sie die Logik ihres Songs durchschaute, und ihre flinken Finger wussten offenbar auch ganz genau, was sie taten.
»Also wenn die Mütze nicht wär«, hörte ich da Theos Stimme warm an meinem Ohr.
Ich seufzte leise, griff nach meinem Bierglas und prostete Theo zu. »Auf die Mütze«, sagte ich grinsend.
Theo grinste zurück, bewegte sein Glas jedoch keinen Millimeter auf meines zu. Dann schaute er weg und trank, ohne mit mir anzustoßen. Ich glaube, ein Trinkspruch für Theo und mich muss noch erfunden werden.
Ein schmaler Typ in Trainingsjacke schleppte ein Cajón an uns vorbei und kletterte zu dem Mädchen auf die Bühne. Er stellte die Trommel ab, setzte sich darauf und blinzelte im Licht des Scheinwerfers. Seine Hand hob sich zum Gruß, zwei Mädchen im Publikum jubelten und klatschten. Dann schaute der Junge das Mädchen mit der Fellmütze an. Sie schaute zurück und wischte sich mit einer schnellen Handbewegung den Pony aus dem Gesicht, sodass ich zum ersten Mal ihre Augen sehen
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