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Milas Lied

Milas Lied

Titel: Milas Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Keil
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zehn Minuten. Aber mit Normalität war an einem Tag wie diesem sowieso nicht mehr zu rechnen gewesen. Manche Tage stehen eben unter einem komischen Stern und gegen die Gewalten des Kosmos sollte man sich nicht auflehnen. Erst recht nicht, wenn man im Winter ohne Sturzhelm auf einem schätzungsweise dreißig Jahre alten, klapprigen Diamant-Fahrrad sitzt und sich das Hosenbein in der Kette verhakt.
    Der Weg vom Sattel bis in die Pfütze war kurz und schmerzlos. Die Schmerzen kamen erst später. Irgendwie gelang es mir, unter meinem Rad hervorzukriechen und meine klitschnasse Hose aus der Kette zu zerren, wobei allerdings der Stoff riss. So ein Mist! Ich betrachtete stumm meine kaputte Lieblingshose, dann meine aufgeschürften Handflächen, in denen ein paar Steinchen steckten, die jemand gestreut hatte, damit man nicht hinfiel. Ich rieb mir die Steinchen von den Händen und stand hastig auf. Das tat weh. Mein rechtes Knie brannte wie Feuer, meine ganze rechte Körperhälfte ziepte und pulsierte. So musste es sich anfühlen, wenn die Narkose versagt. Meine Oma hatte mir mal erzählt, dass sie das Geräusch der Säge hören konnte, während man ihr ein neues Hüftgelenk einbaute.
    Ich blieb einen Moment stehen und ging vorsichtig ein paar Schritte. »Gehen« ist eigentlich das falsche Wort. Es fühlte sich an, als hätte mir jemand Kiesel unter die Kniescheiben gestreut.
    Ich schaute mich um und war froh, dass niemand mich beobachtete. Das ist das Gute an Berlin. Du könntest mit dem Kopf unterm Arm durch die Straßen laufen und keiner würde dich komisch angucken.
    Ich zog mein Fahrrad aus der Pfütze und schob es den Rest des Weges zum Delirium .
    »Ich mag mutige Frauen«, sagte der Typ, als ich ihm sein Bier hinstellte, mein Pullover verrutschte, und er die Tätowierung in meinem Dekolleté bemerkte.
    Wenn er mir das vor zwei Jahren gesagt hätte, hätte ich mich vermutlich geschmeichelt gefühlt. Inzwischen war mir die winzige grüne, verschwommene Elfe nur noch peinlich. Ich hoffte jeden Tag, dass sie eines Morgens einfach verschwunden sein würde, aber so wie es aussah, gefiel es ihr über meiner Brust. Na ja, mit nur einem Flügel fliegt es sich auch schlecht davon.
    Mein Vater unterschrieb die Einverständniserklärung, wahrscheinlich weil es ja auch nur ein ganz, ganz kleines Bild werden sollte und wahrscheinlich weil er ein schlechtes Gewissen hatte und wahrscheinlich weil er mir an diesem Tag sogar ein Pony gekauft hätte, hätte ich die Vernachlässigte-Tochter-Karte gezogen.
    Konnte ja keiner ahnen, dass die Scheißelfe bleiben würde und Moritz nicht. Dafür ziert seine Schulter nun ein flugunfähiger Drache.
    Liebe verleiht Flügel? Tja.
    »Ich bin nicht mutig, ich zapf dir nur dein Bier«, erklärte ich sachlich und legte ein Original-Evi-Pokerface auf.
    »Könntest noch viel mehr für mich zapfen als Bier«, lallte der Typ und leckte sich dabei über die Lippen.
    Das war nun wirklich eklig. Und das war erst der Anfang! Es war gerade mal halb acht und ich fragte mich ernsthaft, ob ich auf der Stelle kündigen sollte. Wem wollte ich eigentlich was beweisen?
    »Lass mal gut sein«, krächzte ich und machte mir an der Anlage zu schaffen. Am liebsten hätte ich jetzt Janis gespielt, aber »zu so ’ner Hippiemucke verkauft man hier kein Bier«, wie mich Achim eines Abends mit strengem Blick gelehrt hatte.
    Es gab doch bestimmt tausend andere Möglichkeiten, um an Geld zu kommen, oder etwa nicht? Als Wörterbuch-Walking-Act zum Beispiel, wie meine armen Kommilitonen neulich vor der Uni. Warum stand ich in der Vorhölle hinter der Bar?
    »Was dagegen, wenn ich ein paar Lieder spiele?«
    »Kla r … ich mein e … nei n … spiel nur«, stotterte ich.
    Wo eben noch der Typ gesessen hatte, stand nun plötzlich dieses Mädchen mit Gitarre. Seine Ohrringe erkannte ich sofort.

Wenn du liebst…
    Wenn du liebst,
liebst du nackt,
läufst barfuß über Scherben
und aus Zucker scheint dir alles Glas.
    Wenn du liebst,
liebst du immer,
gedeihst auch im Dunkel
und trägst Blüten im Haar
aus nachtblauer Seide.
    Wenn du liebst,
liebst du leise,
ohne Absicht, ohne Zweck.
Nur aus einem tiefen Grund.

Ich wischte mir…
    Ich wischte mir die Gänsehaut aus dem Gesicht und fragte das Mädchen, ob es etwas trinken wolle. Leuten, die gut spielen, darf ich einen ausgeben, hat Achim gesagt.
    »Einen schwarzen Tee, bitte«, antwortete sie und nahm an der Theke platz. Ich ließ mir viel Zeit, die Bestellung einzutippen, wechselte

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