Milchbart (German Edition)
hatte Fanni bereits nachgedacht. »Wir müssen nach dem Motiv für den Mord forschen, müssen jeden befragen, der auf welche Weise auch immer mit Frau Bogner zu tun hatte.«
Sprudels Skepsis war ebenso deutlich zu spüren wie der plötzlich aufkommende Wind.
Mit vollem Recht fragt er sich, wie das machbar sein soll!
Aber auch darüber hatte sich Fanni schon Gedanken gemacht. »Du könntest dich beispielsweise bei Kolleginnen von Frau Bogner zu einer Gesprächs- beziehungsweise Kunsttherapie anmelden. Traumatisiert, wie du bist, hast du allen Grund dazu.«
Sie sah Sprudel schmunzeln. »Und traumatisiert, wie ich bin, soll ich sämtliche Kolleginnen und Kollegen einem Verhör unterziehen, was sie sich einfach so gefallen lassen werden.«
Er war stehen geblieben, weil sie nun eine schmale Fahrstraße erreicht hatten, die den Wanderweg kreuzte. Ein Hinweisschild verriet ihnen, dass sie sich sieben Kilometer von Außen Irlach und fünf von Wimpassing entfernt befanden.
»Sollen wir es für heute gut sein lassen?«, fragte Fanni.
Sprudel nickte und wandte sich retour. Offenbar zweifelte er keinen Augenblick daran, dass Fanni nur die Wegstrecke gemeint hatte.
»Weißt du, was mir während der Gesprächstherapie-Sitzungen aufgefallen ist, die ich bei Frau Bogner hatte?«, fragte Fanni nach ein paar Schritten.
Sprudel warf ihr einen erwartungsvollen Blick zu.
»Egal, auf welches Thema wir verfielen, die Therapeutin war immer bemüht, auf mich einzugehen. Nie hat sie versucht auszuweichen. Im Gegenteil, es war, als würden wir uns unterhalten wie zwei Freundinnen.«
Hören sich solche »Unterhaltungen« eventuell ungefähr so an: »Als Kind habe ich mal blaue Haarschleifen mit gelben Punkten geschenkt bekommen. Von da an wollte ich keine anderen mehr tragen, und ich war todtraurig, als meine Mutter sie wegwarf, nachdem sie schon ganz ausgefranst waren. – Oh ja, mir ging es ganz genauso, aber ich hatte rote mit weißen Punkten …« Mein Gott, Fanni, so ein Therapeut lügt doch das Blaue vom Himmel herunter, wenn er meint, damit was erreichen zu können! Man wird Sprudel nach Strich und Faden verarschen!
Fanni schluckte.
»Ich kann es ja versuchen«, sagte Sprudel. Aber es klang nicht sehr hoffnungsvoll.
Darauf gingen sie ein paar Minuten schweigend dahin, bis Sprudel fragte: »Was macht dich so sicher, dass nicht Alexander Pauß der Täter ist?«
»Nichts«, antwortete Fanni nüchtern. »Absolut nichts – wenn man davon absieht, dass er kein sichtbares Motiv hatte und dass er mir sozusagen sein Wort darauf gegeben hat, nicht der Täter zu sein.«
»Um ihn einschätzen zu können, müsste man wissen, wie krank er wirklich ist«, erwiderte Sprudel nachdenklich. »Meinst du nicht auch, dass ein einziges falsches Wort genügen kann, um bei einem Psychopathen sämtliche Sicherungen durchbrennen zu lassen?«
»Möglich« antwortete Fanni, »aber Alexander ist kein Psychopath, sonst wäre er nicht in der Hornschuh-Klinik, sondern irgendwo anders, wo sein Verhalten stärker kontrolliert wird – in Mainkhofen oder in Haar vielleicht.«
Sprudel wirkte nicht recht überzeugt, was Fanni bewog, fortzufahren: »Eine Zwangsneurose macht dich ebenso wenig zum Geisteskranken, wie dich ein Beinbruch automatisch zum Krüppel macht.«
»Was aber nicht heißt«, wandte Sprudel ein, »dass der Patient mit dem Beinbruch nicht gleichzeitig unter einem Nierenschaden, Herzinsuffizienz und Leberzirrhose leiden kann.«
»Tut es nicht«, musste Fanni zugeben. Sie wollte noch etwas hinzufügen, aber Sprudel kam ihr zuvor.
»Mag ja sein, dass Alexander bis auf einen kleinen Defekt geistig gesund und zudem rechtschaffen ist. Aber was, wenn die Therapeutin ihn provoziert hat, um ihn zu testen? Was, wenn sie damit einen Kurzschluss ausgelöst hat? Was, wenn – um bei dem Beispiel mit dem Beinbruch zu bleiben – ein Knochensplitter in eine Arterie gedrungen ist und einen Blutsturz ausgelöst hat?«
»Ich weiß ja selbst«, erwiderte Fanni, »wie gerechtfertigt es ist, Alexander zu verdächtigen. Und deswegen behalten wir uns auch vor, ihn als Täter in Betracht zu ziehen. Was aber nicht heißt, dass wir uns nicht gründlich nach einem anderen auf die Suche machen und so vorgehen, als habe Alexander die Wahrheit gesagt.«
»Hypothese A«, sagte Sprudel, »weder Fanni Rot noch Alexander Pauß haben Marita Bogner getötet.«
Fanni schien es, als würde er gespannt darauf horchen, welche Reaktion seine Aussage bei ihr
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