Milchbart (German Edition)
tat, als würde sie überhaupt nicht zuhören.
»Und dann«, sagte Schwester Helga, »kam der Krach mit Hornschuh.«
Fanni vergaß, Gleichgültigkeit vorzutäuschen. »Seibold und Schwester Rosa hatten Krach mit dem Professor?«, fragte sie verblüfft.
»Frau Bogner hatte Krach mit ihm«, stellte Schwester Helga richtig.
»Aber weshalb denn?«, wollte Fanni wissen. »Ist er mit Frau Bogners Arbeit unzufrieden gewesen?«
»Ich glaube nicht, dass das der Grund war«, erwiderte Schwester Helga. »Denn soviel ich weiß, hat Professor Hornschuh Marita als Therapeutin sehr geschätzt. Ich habe selbst gehört, wie er einmal gesagt hat: ›Von Frau Bogner kann sogar ich noch was lernen‹, dabei gilt er als Koryphäe auf seinem Gebiet – Traumata und daraus resultierende Zwangsneurosen.« Sie stopfte die letzte Tüte ins Fach und schloss die Lade. »Ehrlich gesagt habe ich nicht die geringste Ahnung, worum es bei dem Streit ging. Er hat sich erst vergangene Woche zugetragen, und ich habe nur deshalb etwas davon mitbekommen, weil ich auf dem Weg zu Professor Hornschuhs Büro war.«
Schwester Helga verstummte und wandte sich zum Gehen.
Was genau haben Sie denn mitbekommen?, hätte Fanni gern gefragt, wagte es jedoch nicht.
Attacke! Mensch, was hast du denn noch zu verlieren?
Fanni sprach die Frage aus, und Schwester Helga verhielt den Schritt.
»Ich wollte gerade anklopfen, da ist die Tür von innen aufgegangen, aber niemand ist herausgekommen. Und bevor ich mich bemerkbar machen konnte, habe ich Hornschuh sagen hören: ›Das können Sie nicht tun. Im Prinzip geht es Sie gar nichts an. Schließlich ist er volljährig.‹ Darauf hat Marita – eindeutig war das ihre Stimme – geantwortet: ›Wir werden ja sehen, was die Trägergesellschaft dazu sagt, und außerdem bin ich sehr gespannt, wie Sie sich aus der anderen Sache herauswinden wollen.‹ Im nächsten Moment ist sie auf dem Flur erschienen und hastig weggegangen. Mich hat sie dabei überhaupt nicht bemerkt. Ich habe aber ganz deutlich verstanden, was sie im Gehen vor sich hin gemurmelt hat: ›Das Schwein mach ich fertig.‹«
Fanni bemühte sich um einen neutralen Tonfall, als sie sagte: »Meistens nicht ernst gemeint, solche Drohungen.«
»Natürlich nicht«, stimmte ihr Schwester Helga zu. »Deshalb habe ich die ganze Sache ja auch einfach abgetan.«
Als Fanni wenig später ins Foyer trat, wartete Sprudel bereits auf sie.
Fanni begrüßte ihn herzlich, zeigte einladend auf das Chesterfieldsofa, vor dem ein moderner Glastisch stand, und fragte ihn, ob er eine Tasse Tee oder Kaffee trinken wolle.
Sprudel warf einen trübsinnigen Blick auf die Teebeutel, die Tütchen mit löslichem Kaffee, die Kondensmilchdöschen und antwortete: »Ganz in der Nähe – höchstens fünf Kilometer von hier entfernt – liegt das Städtchen Schwarzach. Die Herren von Degenberg hatten dort einst ihre Stammburg.« Er lächelte schalkhaft. »Womöglich haben uns die Degenberger ein erstklassiges Kaffeehaus hinterlassen, in dem man guten Milchkaffee und ein frisches Hefeteilchen bekommt. Lass uns nach Schwarzach fahren.«
»Tut mir leid, Sprudel«, erwiderte Fanni. »Wir haben andere Pläne.«
Wie kannst du nur so grausam sein?
Fanni bekam ein schlechtes Gewissen. Sie schaute Sprudel forschend an, in seiner Miene zeigte sich jedoch keinerlei Verstimmung.
Er hat es wohl schon so kommen sehen!
»Welche Pläne haben wir denn?«, fragte Sprudel.
»Da du den wärmenden Schluck von der Selbstbedienungstheke offenbar ablehnst, kann ich es dir auch unterwegs erklären«, erwiderte Fanni.
»Ein Fußmarsch also«, stellte Sprudel fest.
Auch das hat er vermutlich kommen sehen!
Ergeben steuerte er auf die Eingangstür zu und ließ dann Fanni den Vortritt.
»Irgendwo in der Nähe des Wegs, den wir gestern im Dunkeln entlanggelaufen sind, muss es ein halb verfallenes Haus geben, in dem der Sohn von Frau Bogner wohnt«, erklärte Fanni, während sie gemeinsam durch den Park gingen. »Tillman Bogner soll in dieser Einöde als Bildhauer arbeiten. Ich dachte mir, wir könnten ihm einen Besuch abstatten und uns seine Werke ansehen. Unterwegs könnten wir nach dem Ohrring suchen, den ich gestern verloren habe.«
Fanni und Sprudel passierten den Teich, dessen Oberfläche wie Onyx schimmerte.
Das Gewässer scheint ja ziemlich tief zu sein!
Der Weiterweg durch den Park schlängelte sich zwischen etlichen alten Bäumen dahin, die durch den Bau der Parkklinik vieler ihrer Gefährten
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